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Georg Gasser | „I0I00I0II ... Ich, digital?“
Einleitung
Sie lesen folgendes Inserat:
„Die neue Technologie des Mind-Uploading wird Sie mit Lichtge-
schwindigkeit zum Zielort senden und Ihnen eine neue Dimension des
Reisens eröffnen. Sie steigen in den sogenannten Teletransporter und
verlieren kurz Ihr Bewusstsein. Im Teletransporter werden alle ihre
mentalen Zustände samt ihren Verknüpfungen, Inhalten und ihrer Ent-
stehungsgeschichte gespeichert, und die gesammelten Informationen
werden mit Lichtgeschwindigkeit an einen nicht-biologisch verfassten
Körper oder an ein digitales Speichermedium am Zielort übertragen. Sie
werden dann am Zielort aufwachen. Technische Gebrechen sind nicht zu
erwarten – das Verfahren ist bereits im Labor tausendfach erfolgreich
getestet worden und gilt als sicher.“ (In Anlehnung an das skizzierte
Szenario in Parfit 1984, Teil III, Kap. 10, Abschnitt 75)
Würden Sie sich auf diese neue Art des Reisens einlassen? Wahrscheinlich
würden Sie zuerst einmal zögern. Ich vermute, Sie zögern, weil Sie zwar da-
von ausgehen, dass die Person, die am Zielort aufwacht, in ihren mentalen
Merkmalen mit der Person, die in den Teletransporter gestiegen ist, iden-
tisch ist, aber Sie sich trotzdem nicht sicher sind, ob wirklich Sie am Ziel-
ort aufwachen und nicht nur jemand mit Ihrem Bewusstsein. Schließlich ist
Ihre körperliche Verfasstheit eine grundlegend andere, und es könnte sein,
dass wir als biologisch konstituierte Wesen einen solchen Übertragungs-
prozess gar nicht überleben. Das Teletransportationsverfahren würde Sie
als menschliche Person somit töten und „nur“ ein Bewusstsein generieren,
das in allen Merkmalen mit dem Ihrigen übereinstimmt. Wenn solche und
ähnliche Überlegungen Ihr Zögern motivieren, dann betreffen sie Fragen
wie diese:
̟ Was macht unsere Natur als menschliche Personen eigentlich aus?
̟ Wie ist unser Bewusstsein mit unserer biologisch verfassten Kör-
perlichkeit verknüpft?
̟ Worin besteht unsere Identität in der Zeit?
Diese Fragen betreffen die grundlegende metaphysische Verfasstheit
menschlicher Personen. In der aktuellen Diskussion rücken derartige
Überlegungen meist in den Hintergrund, da vornehmlich Fragen der tech-
nischen Machbarkeit und sich daraus ergebende Probleme der angewand-
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 3:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 270
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven