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Georg Gasser | „I0I00I0II ... Ich, digital?“
nicht gegeben, sondern kann zum einen unterschiedlich stark ausgeprägt
sein und zum anderen auch mehrfach vorliegen: Ein Individuum A zum
Zeitpunkt t1 kann mit mehreren Individuen, B und C, zum Zeitpunkt t2 ein
Verhältnis der Kontinuität aufweisen, z. B. wenn B und C unter qualitativer
Rücksicht A ähnlich sind und diese Ähnlichkeit verschieden stark ausfällt.
Solche Vorkommnisse sind uns in der Natur etwa bei Teilungen einer Zelle
in mehrere, in ihren Eigenschaften leicht unterschiedliche, Tochterzellen
bekannt.
Näheres zur Relation der Kontinuität in der Zeit
In der modernen Identitätsdebatte kommt der Diskussion um die Kontinui-
tätsrelation eine zentrale Bedeutung zu, weshalb sie in diesem Abschnitt
kurz gesondert behandelt wird. Der wesentliche Grund ihrer besonderen
Bedeutung lässt sich anhand einer Variante des eingangs skizzierten Ge-
dankenexperiments verdeutlichen: Die Person steigt in den Teletranspor-
ter, der Datentransfer setzt ein, aber aufgrund eines technischen Defekts
erfolgt der Transfer auf das Zielmedium nicht einmal, sondern zweimal.
Das Resultat dieses technischen Gebrechens sind zwei durch jeweils einen
qualitativ identischen Mind-Upload konstituierte Individuen, d. h. zwei In-
dividuen, die sich in ihren Eigenschaften nicht unterscheiden. Wie sollen
wir das identitätstheoretische Verhältnis zwischen diesen beiden Indivi-
duen und der ursprĂĽnglichen Person bestimmen? Es gibt drei naheliegende
Antworten:
1. Die beiden qualitativ identischen Individuen sind mit der Person, die
in den Teletransporter stieg, numerisch identisch.
2. Nur eine der beiden qualitativ identischen Individuen ist mit der
Person, die in den Teletransporter stieg, numerisch identisch.
3. Keines der beiden qualitativ identischen Individuen ist mit der Per-
son, die in den Teletransporter stieg, numerisch identisch, sondern
beide Personen stehen zu dieser in einer Relation der Kontinuität.
Antwort 1 ist aus begrifflichen GrĂĽnden ausgeschlossen, da numerisch ver-
schiedene Entitäten nicht gleichzeitig zueinander numerisch identisch
sein können. Antwort 2 scheint für ein zusätzliches metaphysisches factum
brutum, das strikte Identität in der Zeit festlegt, zu plädieren, da im Ge-
dankenexperiment vorausgesetzt wird, dass beide Individuen, die dank des
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 3:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 270
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven