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Christian Wessely | Wie spricht ein Geist zum anderen Geist?
muss notwendigerweise fehlen (also nicht „meiner Sensoren in meiner
Umgebung“).
Zusätzlich zum grundsätzlichen Problem der Definition des Selbst ist auch
die Verortung der autonomen digitalen Entität nicht mehr einfach möglich:
Ein Fahrzeug Level 3 oder höher ist mit anderen Fahrzeugen, anderen orts-
festen Systemen, ja mit der StraĂźe selbst vernetzt; seine Verarbeitungspro-
zesse finden ab Level 4 notwendigerweise schon nur noch teils lokal statt.
Anders gesagt: Das Nicht-Ich, dem sich die benutzende Person anvertraut,
bleibt ungreifbar, und doch muss es – schon allein, um Rechtssicherheit zu
haben – definiert werden, unter anderem auch, weil das Nutzungsverhält-
nis nur sinnvoll zustande kommen kann, wenn ein Vertrauensverhältnis
vorliegt. Wenn aber dieses Vertrauensverhältnis etabliert wird, wird durch
den Akt der Etablierung ein Gegenüber geschaffen, das ähnlichen Bedin-
gungen unterliegen muss wie oben genannt, ein GegenĂĽber, bei dem eine
Verletzung des Vertrauens, ein Abweichen von der Wahrheit (als Stichwor-
te: Sicherheit und Nachvollziehbarkeit von Loggingprozessen oder Daten-
schutz) sanktionierbar ist.
Implizit heiĂźt das aber: Um ein autonomes System als solches konsequent
zu denken, ist seine grundsätzliche Verantwortungs- und damit konse-
quenterweise auch Schuldfähigkeit mit einzubeziehen.
Die Diskussion über Schuld führt nun aber notwendig in zwei grundsätz-
liche Richtungen: eine rechtstechnische (die hier nicht weiter verfolgt
werden kann) und eine moralische, die dem Grunde nach untrennbar mit
der essentiellen theologischen Fragestellung verbunden ist: Was ist das
unbedingte DarĂĽber-Hinaus des Menschen; was ist der Urgrund seiner
Trans zen denz
offenheit? Denn eine moralische Verpflichtung jeglicher
Art ist eine personale Verpflichtung: Einem Gerät gegenüber gibt es keine
Moral, auch nicht – wenn man an die Kommunikation zwischen zwei KIs
denkt – zwischen zwei Geräten. Die Kategorie des Moralischen, die den-
noch zu einer menschenkompatiblen Funktion eines solchen Settings er-
forderlich ist, mĂĽsste demnach unhintergehbar (!) von menschlicher Seite
in das System eingebracht sein, wäre aus „Maschinensicht“ mithin trans-
zendent. Das zielt noch keineswegs auf eine „göttliche“ Transzendenz ab,
sondern auf die Anerkennung der Existenz eines grundsätzlich Anderen,
der/die vom eigenen Selbst als bewusstes Subjekt unterschieden, aber da-
Um ein autonomes System konsequent zu denken, ist seine
Verantwortungs- und Schuldfähigkeit mit einzubeziehen.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 3:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 270
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven