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Christian Wessely | Wie spricht ein Geist zum anderen Geist?
Ěź Erstens, evidenterweise: Eine Vermenschlichung der Technik kann
mit technischen Mitteln nicht funktionieren, obwohl sie den Kon-
sumentinnen und Konsumenten konsequent suggeriert wird, in-
dem auf Level 7 (Prämisse 3) größtmöglicher Wert auf das Potential
zur seamless integration der technischen (medialen) Hilfsmittel in
den menschlichen Alltag gelegt wird.31
Diesem Anspruch gegenüber steht aber das grundsätzliche Pro-
blem der Limitierung der Hardware. Endgeräte, die – dies nur um
des Argumentes willen – einer „umfassenden“ Darstellung einer
Realität aus Nutzersicht möglichst nahe kommen, werden automa-
tisch ressourcenintensiv im Hinblick auf Hardware und Entwick-
lung und sind daher nur für ein sehr eingeschränktes Marktseg-
ment zugänglich. Limitierende Faktoren dabei sind vor allem die
(mobilen) Schnittstellen zwischen analoger und digitaler Welt – in
der Regel etwas Mobiles und allgemein VerfĂĽgbares wie das Smart-
phone mit einer Bilddiagonale von rund 6 Zoll oder das Tablet mit
12 Zoll – und die Netzwerkgeschwindigkeit, bei der jede Steigerung
mit proportional steigendem Zusatzaufwand erkauft werden muss.
Ebenfalls muss an dieser Stelle der Energiebedarf von Serverfar-
men und Netzwerkknoten genannt werden, deren Output an Wär-
meenergie lokal durchaus massive Auswirkungen auf das Mikro-
klima hat.32 Angesichts dessen bleibt auch festzuhalten, dass eine
konsequente „digitale Transformation“ notwendigerweise eine
Unrechtsdimension beinhaltet, die gravierend ist. Selbst im bes-
ten (?) denkbaren Fall ist es undenkbar, dass alle Menschen an di-
gitalen Ressourcen in gleichem Ausmaß teilhaben – unter anderem
auch wegen der eingeschränkten Verfügbarkeit der notwendigen
Rohstoffe wie Lithium, Tantal oder Kobalt wird dieses Problem zu
einem in mehrfacher Hinsicht ethisch relevanten.33
Ěź Zweitens: Da mit technischen Mitteln keine Vermenschlichung der
Technik zu erreichen ist, kommt es – sofern man nicht von der
Nutzung dieser technischen Mittel weitgehend absehen will –
stattdessen zu einer Vertechnisierung des Menschen. Die Benut-
zerinnen bzw. Benutzer passen sich in ihren sensorischen Erwar-
31 Zu den Problemen der seamless
integration aus Entwicklersicht vgl.
bereits Lanthaler et al. 2012, im
Blick auf die Anwendernähe ins-
besondere im VR-Bereich Guo et
al. 2017. Interessant ist, dass beide
AutorInnen gruppen zu analogen
SchlĂĽssen kommen: Sie betrachten
das Problem als ein rein technisches
und daher mit technischen Mitteln
zu lösendes.
32 Der Anteil der IKT am weltweiten
CO2-Ausstoß wird mit 1,4–2 Prozent
angenommen. Je nach Verortung der
AutorInnen unterscheidet sich die
Interpretation dieses Wertes massiv
(vgl. PTE 2007 mit Ericsson LTd.
2020). Eine grundlegende Studie
zeigt die Datenbasis auf, vgl. Mal-
modin/Lundén 2018, ist aber selbst
nicht wertfrei.
33 Zwischen 2016 und 2026 soll sich
der Bedarf an Lithiumbatterien zu-
mindest um den Faktor 14 erhöhen
(vgl. Arnold 2019. Das Thema ist
schon seit ca. 2010 in der Diskussion;
ein Einstieg im Hinblick auf die öko-
nomische Dimension ist Doll 2017.
Auf die verbrecherische Ausbeutung
der MinenarbeiterInnen, die in der
Gewinnung der „seltenen Erdme-
talle“ vor allem in Entwicklungs-
ländern gang und gäbe ist, kann hier
nicht weiter eingegangen werden;
sie hatte bisher jedoch keine an-
gemessene Reaktion aus den „ent-
wickelten“ Ländern zur Folge, die
ja zu den Hauptprofiteuren dieser
Verhältnisse gehören.
Eine Vermenschlichung der Technik kann mit
technischen Mitteln nicht funktionieren.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 3:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 270
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven