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Christian Wessely | Wie spricht ein Geist zum anderen Geist?
„The algorithm is chasing the audience, and the uploaders are
chasing the algorithm. And if the content actually manages to
catch up with the algorithm, you get a kind of perverse situ-
ation in which the algorithm is the content.“ (Muller 2019,
0:06:20)35
Dieser Zusammenhang (die nach Muller „kind of perverse situa-
tion“) bildet einen wesentlichen Hintergrund dessen, was wir heu-
te als „digitale Transformation“ betrachten.
̟ Drittens: Es gibt, scheint mir, mit den derzeitigen Mitteln und unter
den derzeitigen Rahmenbedingungen keine Möglichkeit, diese Zu-
sammenhänge zu verändern. Peter Weibel hat bereits 1993 prophe-
zeit:
„Im Umgang mit den elektronischen Medien, mit den Tönen
und Bildern, welche aus der Eigenwelt der Apparate aufsteigen,
wird klar, daß wir nicht einfach nur externe Benutzer und Be-
obachter sind, sondern daß wir es mit einer neuen Mensch-Ma-
schine-Symbiose zu tun haben [...] Die elektronischen Medien
haben eine Techno-Transformation der Welt bewirkt, die einem
Verschwinden der klassischen Wirklichkeit gleichkommt.“
(Weibel 1993, 36)
Insofern ist die Entwicklung in gewisser Weise apokalyptisch: Sie
enthüllt einen unentrinnbaren Konnex zwischen den Mitteln, die
wir verwenden, und dem Zweck, den wir verfolgen. Ohne den Zweck
zu hinterfragen, können bzw. werden wir die Mittel nicht ändern
können. Die substantielle Veränderung unserer Wirklichkeit durch
die Digitalisierung ist inzwischen in die Grundkonfiguration der
globalen Entwicklung in der Art eingeschrieben, dass nur eine glo-
bale technische Katastrophe oder eine Revolution nach dem Muster
von „Butlers Jihad“ (die konsequente Zerstörung aller IT-Syste-
me in einem revolutionären Gewaltakt, vgl. Herbert 2015 [1984])
eine Änderung erzwingen könnte; beide Optionen sind nicht wün-
schenswert. Es gilt also, jede mögliche Anstrengung zu unter-
nehmen, die Digitalisierung in einem umfassenden Konsens quer
durch alle Kulturen wieder als Mittel zu definieren und als Zweck
Die Entwicklung ist in gewisser Weise apokalyptisch.
35 Muller (ca. 7 Mio. Abonnenten)
erklärt auch, warum breitenwirk-
same Informationen notwendiger-
weise „catchy and sensational“ sein
müssen: nicht, weil das Publikum
derartige Ansprüche stellt, sondern
weil der innere Zusammenhang des
Systems es erfordert (Muller 2019,
0:16:50ff.).
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 3:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 3:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 270
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven