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Gerhard Langer | Essen und Trinken als Ausdruck von Identität und Diversität im (rabbinischen) Judentum
zu Ex 23,19), der sich dieser Argumentation anschloss, ging es dabei also um
Abwehr des Götzendienstes.
Während Fleisch, Wein, Getreide und Öl im Rahmen der Opferrituale am
Tempel ihren festen Platz hatten, war die Milch nie Bestandteil eines mit
ihm verbundenen Ritus. Wenn daher Milch nicht mit Fleisch verbunden
werden soll, dann drĂĽckt dies auch die grundlegende Unterscheidung von
Heiligem und Profanem aus, die auch nach der Zerstörung des Tempels
wirksam bleibt.
Ein damit verbundener Aspekt wird von Kraemer (vgl. 2007, 47–50) be-
nannt. Er sieht in den Milchprodukten Hinweise auf den häuslichen Bereich,
der in der Regel eher von Frauen dominiert wurde, während Fleisch auf den
von Männern dominierten Bereich des Tempels und des Opfers verweist.
Diese geschlechterspezifischen Unterscheidungen von Nahrungsmitteln
treten auch in anderen Kulturen auf.
Die Unterscheidung spiegelt sich auch in mystischen (kabbalistischen)
Quellen wider, wonach Fleisch für das göttliche Attribut (Sefira) Gevura
steht, welche die Eigenschaft des Richtens ausdrückt, während Milchspei-
sen der Sefira Chessed zugeordnet sind, welche die Eigenschaft der GĂĽte
und Liebe ausdrĂĽckt (so z. B. im wichtigsten kabbalistischen Buch, dem
Zohar, Mischpatim 125a). Beide Sefirot stehen sich gegenĂĽber. Bereits im
mystischen Buch Bahir, das im 12. Jahrhundert in SĂĽdfrankreich entstand,
werden Milch und Wein gegenübergestellt. Während die Milch zu Chessed
gehört, symbolisiert hier der rote Wein den Aspekt des Gerichts.
4 Wein und Rauschgetränk
Anders als im Islam hat sich im Judentum kein absolutes Alkoholverbot
durchgesetzt. Schon die Bibel erwähnt häufig Getränke wie Wein oder Bier.
Ps 104,15 spricht vom Wein, der das Herz des Menschen erfreut, und der
Weisheitslehrer Kohelet ermutigt, den Wein mit gutem Herzen zu trinken
(vgl. Koh 9,7).
Wein wurde am Tempel als Trankopfer dargebracht (vgl. u. a. Num 15,10;
28,14). Beim Genuss sollte man auf das rechte MaĂź achten (vgl. Spr 23,20),
da ein Zuviel nicht nur die Zunge löst – nicht umsonst ist der Zahlenwert
Geschlechterspezifische Unterscheidungen
von Nahrungsmitteln
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 4:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 214
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven