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Gerhard Langer | Essen und Trinken als Ausdruck von Identität und Diversität im (rabbinischen) Judentum
Die Unterschiede betreffen im Detail auch Regelungen zu Festen. So, um
nur ein Beispiel zu nennen, herrscht zwischen Aschkenasen und Sefarden
keine Einigkeit darüber, ob man bestimmte Gemüse, Samen und Hülsen-
früchte, die so genannten Qitnijot, zu Pessach essen darf oder ob sie als
„Gesäuertes“ gelten. Mais, Reis, Bohnen, Erbsen und Linsen werden von
vielen Sefarden gegessen, von observanten Aschkenasen jedoch nicht.
Gerade bei Festen werden Speisen gegessen, die symbolisch auf etwas hin-
weisen, so die verschiedenen Gerichte am Sederteller zu Pessach, die an die
erschwerten Lebensbedingungen der Israeliten in Ägypten erinnern sollen,
oder die Mohntaschen zu Purim, die an den bösen Haman erinnern, der die
Juden in Persien vernichten wollte, oder Süßes zum Neujahr usw. Während
aber im aschkenasischen Raum zu Pessach die symbolisierten Lehmziegel
der Israeliten in Ägypten (Charosset) aus Äpfeln, Nüssen, Mandeln, Honig,
Wein, Zucker und Zimt gemischt werden, verwendet man bei den Sefarden
dazu Datteln, Walnüsse, Mandeln, Orangensaft und süßen Wein. Jemeniten
würzen ihr Charosset mit Kardamom, persische Juden mit frischen Gra-
natapfelkernen.
Weltweit ist natürlich auch die Einhaltung der Koscherbestimmungen
unter Juden sehr unterschiedlich. Umfragen (2009) besagen, dass heute
in Israel eine überwiegende Mehrheit von Juden nur koscheres Fleisch isst
(76 Prozent zu Hause, 70 Prozent auswärts), fleischige und milchige Spei-
sen trennt (63 Prozent) sowie kein Schweinefleisch zu sich nimmt (72 Pro-
zent). 68 Prozent der Befragten würden am höchsten Feiertag, dem Jom
Kippur, vorschriftsgemäß fasten (vgl. Asher et al 2012). Im Vergleich dazu
essen amerikanische Juden (laut Umfrage 2005) (nur) zu 21 Prozent ko-
scher, 15 Prozent kaufen regelmäßig und 58 Prozent gelegentlich kosche-
re Produkte. Mehr als die Hälfte der Befragten gab dafür gesundheitliche
Gründe an, 38 Prozent waren Vegetarier (vgl. https://oukosher.org/blog/
the-kosher-market/new-survey-reveals-21-of-americans-eat-kosher/
[12.08.2021]).11
6 Wer macht es richtig? Abgrenzung nach innen
Grundlegend gilt, dass alle biblischen Bestimmungen zu Essen und Trin-
ken in der jüdischen Tradition weiter präzisiert und über die Jahrhunderte
Speisen, die symbolisch auf etwas hinweisen
11 Aktuelle Umfragen in Europa
kenne ich nicht. Eine Produkte-
liste zu koscheren Produkten in
Europa findet sich unter https://
www.kashrut.com/travel/Europe/
[13.09.2021]. Die einzelnen Kultus-
gemeinden stellen Listen zu Versor-
gern mit koscheren Lebensmitteln
auf ihre Homepages, z. B. in Wien
https://www.ikg-wien.at/kosche-
res-leben-2/ [12.08.2021].
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 4:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 214
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven