Page - 59 - in Limina - Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:2
Image of the Page - 59 -
Text of the Page - 59 -
57 | www.limina-graz.eu
Gerhard Langer | Essen und Trinken als Ausdruck von Identität und Diversität im (rabbinischen) Judentum
reinigt – also gekaschert – werden. Dies geschieht u. a. durch Hitze (Feuer
oder heißes Wasser).
Blut ist zum Verzehr verboten und spielt eine wichtige Rolle in der kom-
plexen Reinheitstheologie. Daher ist auch die Verbindung von Speisege-
boten, Blut und Menstruation bedeutsam. Während der Menstruation ist
Geschlechtsverkehr nach der Halacha verboten.
Eine wunderbare Erzählung, die Reinheit, Menstruation und Wein verbin-
det, findet sich im langen Abschnitt 19 im Midrasch Levitikus Rabba, der von
der Bedeutung des Studiums, der Zerstörung des Tempels und vom Exil,
von der Achtsamkeit auf den Körper und der kommenden Erlösung han-
delt. Hier wird u. a. die Magd Gamliels, Tavita (die Gute), erwähnt, welche
die Weinfässer, die den Lebensunterhalt des Rabbis garantieren, auf ihre
Reinheit zu begutachten hatte. Da sie ihre Monatsblutung nahen spürte,
kon trol lierte sie ihren Körper regelmäßig und verhinderte auf diese Wei-
se, dass der Wein des Rabbis verunreinigt wurde. Darin steckt wieder eine
tiefgreifende Symbolik. Einmal ist Wein eine reale Verkaufs- und Handels-
ware, dann aber auch im übertragenen Sinn auf die Tora und ihre Lehre be-
zogen, die im gesamten Abschnitt in Levitikus Rabba im Mittelpunkt steht.
Der Wein ist eben Sinnbild der Tora, des Lernstoffes und damit der geisti-
gen Nahrung. Die Regelungen in Bezug auf die Menstruation betreffen das
körperliche und geistige Leben, die Heiligkeit vor Gott, ja, sie bewirken, wie
der Text im Midrasch noch weiter deutlich macht, die Nähe Gottes und in
weiterer Folge auch die Erlösung des Volkes.
Die Aussage des Textes ist: Wenn eine Frau sich in Bezug auf ihre monat-
liche Blutung achtsam erweist, so ermöglicht sie gleichzeitig damit das
Reifen des Weins, respektive der Lehre. Frauen wird hier sehr traditionell
eine besondere Rolle zugewiesen, welche die Achtsamkeit auf den Körper,
den „heiligen“ Umgang mit damit verbundenen Reinheitsvorschriften und
den Bereich des Hauses umfasst. Es sind demnach die Frauen, die auf die
Speisegebote und alle anderen Aspekte der Kaschrut achten. Dies bedeutet
aber auch, dass Frauen abseits des Tempels, nämlich in einer Zeit, in der
dieser keine praktische Rolle mehr spielt, einen immens wichtigen Beitrag
zur Heiligkeit des Volkes leisten.
Unbedingt erwähnt werden muss an dieser Stelle auch ein mystischer Text
des 13. Jahrhunderts, dessen Autorschaft bis heute ungeklärt ist. Der so ge-
Es sind die Frauen, die auf die Speisegebote
und die anderen Aspekte der Kaschrut achten.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 4:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 214
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven