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Ulvi Karagedik | Ansätze für eine islamische Speiseethik gemäß den islamischen Primärquellen Koran und Hadith
„Der Gesandte Gottes (Friede und Segen sei mit Ihm) hat nie eine Speise
kritisiert. Wenn er sie mochte, hat er sie gegessen, und wenn nicht, hat er
sie stehen lassen“ (Muslim: Ašrāb, 2046; 257; 5124; At-Tirmiḏī: Birr,
2031; 137).
Die Nahrung wird also vorrangig als göttliche Gabe und Geschenk definiert,
wobei nicht jedwede Speise zum Verzehr freisteht. Wie einschlägige Pas-
sagen aus dem Koran und dem Hadith (Prophetenüberlieferung) nahele-
gen, handelt es sich bei religiös Erlaubtem oder Verbotenem jedoch nicht
nur um dogmatische Regelungen, sondern vor allem um ethische Vorgaben
zum Wohle des Menschen und zum Schutz seiner natürlichen Veranlagung
(fiṭra):
„Aber nein, die Unrecht tun, folgen ihren Gelüsten ohne Wissen […]. So
richte dein Gesicht auf die Religion als ein aus innerstem Wesen Glau-
bender gemäß der Natur, in der Gott die Menschen erschaffen hat!“ (Ko-
ran, 30:29–30)
„Gott will für euch das Leichte und nicht das Schwere“ (Koran, 2: 185).
„Gott gebietet Gerechtigkeit, das Gute zu tun und den Verwandten zu ge-
ben. Er untersagt das Schändliche, das Verwerfliche und die Gewalttat. Er
ermahnt euch. Vielleicht lasst ihr euch mahnen!“ (Koran, 16: 90)
„Die Religion ist das Leichte, und wer sich in seiner Religion überfordert,
wird nicht in der Lage sein, auf diese Weise fortzufahren. Ihr solltet also
keine Extremisten sein, aber versuchen, Euren Glauben zu perfektionie-
ren“ (Al-Buḫārī: Imān, 32; 39).
Gemäß diesen und ähnlichen Textstellen ordnen islamische Theologen jede
juridische Regelung (dies umfasst freilich auch die Speiseethik) einer oder
mehrerer der fünf Maximen des islamischen Rechts zu (vgl. Ben-Abdelje-
lil/Kurnaz 2014). Jene als maqāṣid al-ḫamsa, ḍarūrīyā al-ḫamsa, kulliyāt al-
ḫamsa oder uṣūl al-ḫamsa bekannten Maximen umfassen den Schutz des
Lebens, den Schutz der Nachkommenschaft, den Schutz der Vernunft, den
Schutz des Besitzes und den Schutz der Religion, wobei manche Theolo-
gen als sechste Maxime auch den Schutz der (Meinungs- und Glaubens-)
Freiheit anführen (vgl. Al-Dabūsī 2007; ʿAṭīyya 2001). Demgemäß lässt
sich beispielsweise das koranische Alkoholverbot (vgl. Koran, 2: 219; 4: 43;
Ethische Vorgaben zum Wohle des Menschen
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 4:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 214
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven