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Ulvi Karagedik | Ansätze für eine islamische Speiseethik gemäß den islamischen Primärquellen Koran und Hadith
5: 90–91) mit dem Schutz des Lebens, dem Schutz der Vernunft oder dem
Schutz des Besitzes begründen.
Dabei gilt es auch festzuhalten, dass die islamischen Speiseregeln nicht
nur eine profane Dimension aufweisen und auch nicht jedes Gebot auf ra-
tionale Gründe und Nutzen reduziert werden kann. Einzelne Regelungen
und Empfehlungen, wie etwa das Gebot, den Essensakt mit den Worten
„Im Namen des Barmherzigen, des Allerbarmers“ zu beginnen, haben eine
gottesdienstliche Funktion. Zur Wertschätzung und Gotteserkenntnis is-
lamischer Speiseethik gehört es, das Essen im Namen Gottes zu beginnen
(vgl. Al-Buḫārī: ʾaṭʿima, 5376; Muslim: ʾašriba, 2022; 143; 5012) und nach
dem Essen (Gott) zu danken (vgl. Al-Buḫārī: ʾaṭʿima, 5458; 87; 368; Abū
Dāwūd: ʾaṭʿima, 3849; 114; 3840), denn Gott zu lobpreisen erfreut das Herz
und führt zum Seelenfrieden (vgl. Koran, 12: 20).
Das menschliche Leben verläuft gemäß dem religiösen Weltbild in einem
Spannungsverhältnis zwischen Welt- und Seelenheil sowie den Begierden
des inneren Triebes (Nafs) und den Einflüsterungen des Satans (vgl. Koran,
14: 34; 91: 8). Fragen nach den Folgen des Essensverzehrs sind in diesem
Zusammenhang daher nicht nur medizinisch oder wirtschaftlich zu be-
antworten, sondern haben bedeutende Auswirkungen auf die seelische und
geistige Verfassung des Menschen. Sinn und Zweck islamisch-speiseethi-
scher Prinzipien können somit auf alle denkbaren positiven oder negativen
(biologischen, materiellen, gesellschaftlichen, psychologischen und spiri-
tuellen) Auswirkungen zurückgeführt werden.
3 Islamische Speiseethik im Konkreten:
Dimensionen und Vorgaben
Der Sinn des Lebens besteht aus der religiösen Perspektive darin, ein
Gleichgewicht zwischen dem Profanen und Transzendentalen sowie zwi-
schen Diesseits und Jenseits herzustellen und die eigenen Fähigkeiten, Be-
sitztümer und jegliche weiteren göttlichen Gaben verantwortungsvoll und
bestmöglich zu nutzen. Im Koran heißt es dazu:
„Trachte mit dem, was Gott dir gegeben hat, nach dem jenseitig-letzten
Haus und vergiss nicht deinen Anteil am Diesseits! Tu Gutes, wie Gott es
Nicht jedes Gebot kann auf rationale Gründe und Nutzen reduziert werden.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 4:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 214
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven