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Dilek Bozkaya und Alfred Garcia Sobreira-Majer | Interreligiöses Lernen am Buffet
fortsetzen. Ähnliches gilt für Lamm, Ei und Schinken zu Ostern sowie für
andere christliche Feste. Sie sind religiös, kulturwissenschaftlich und sozi-
algeschichtlich interessant, und viele von ihnen würden sich auch für eine
„kulinarische“ Form des interreligiösen Lernens eignen.
Nicht Fastenspeise, sondern Fastenbruch – das Zürcher Wurstessen 1522
Könnten auch geräucherte Würste bei einer interreligiösen Verkostung an-
geboten werden? Zumindest erinnern sie an den Beginn der Reformation
in der Schweiz. Solche Würste wurden am 9. März 1522 in Zürich im Haus
des angesehenen Buchdruckers Christoph Froschauer mitten in der Fas-
tenzeit demonstrativ gegessen. Es war ein beabsichtigter Protest gegen die
bestehenden kirchlichen Fastengebote. Zwei geräucherte Würste wurden
kleingeschnitten und unter die anwesenden Leute verteilt. Der Reformator
Ulrich Zwingli war anwesend, ohne sich am Wurstessen zu beteiligen. Wei-
tere Verstöße gegen das Verbot, in der Fastenzeit Fleisch zu essen, folgten
in den nächsten Tagen. Das erregte Anstoß in der Stadt, besonders bei dem
zuständigen Bischof in Konstanz, der das als „Kampfansage“ wertete (vgl.
Fuchs u. a. 1984, 9). Froschauer rechtfertigte dieses Vorgehen einerseits
mit einem Hinweis auf die Predigten von Zwingli und andererseits mit den
angespannten Arbeitsbedingungen, unter denen seine Gesellen gestanden
hätten. Mus allein hätte ihren Hunger nicht stillen können und der – in der
Fastenzeit erlaubte – Fisch wäre zu teuer gewesen (vgl. http://www.hans-
jurt.ch/blog/?m=200805 [28.02.2021]).
Zwingli machte den Anlass zwei Wochen später in einer Predigt zum The-
ma: Von Erkiesen und Freiheit der Speisen. Die Fastengebote müssten nicht
befolgt werden, weil sie nur kirchliche und menschliche Satzungen sei-
en. Nur göttlichen Geboten, wie sie in der Bibel zu finden seien, müssten
Christ:innen Folge leisten. Es sollte nicht ihr Gewissen beschweren, wenn
sie gegen kirchliche Gebote verstoßen würden. Gleichzeitig seien Christ:in-
nen aber frei, diese Freiheit, die sie hätten, nicht exzessiv zu nutzen. Sie
könnten mit ihr verantwortlich umgehen.
„Kurz und einfach gesagt: Willst du gerne fasten, dann tue es! Willst du
dabei auf Fleisch verzichten, dann iss auch kein Fleisch! Lass mir aber
dabei dem Christen die freie Wahl! […] Wenn aber dein Nächster dar-
„Willst du gerne fasten, dann tue es!“
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 4:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 214
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven