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Dilek Bozkaya und Alfred Garcia Sobreira-Majer | Interreligiöses Lernen am Buffet
und Bewohnern des Hauses angeboten. Manchmal wird das Helva in ein
türkisches Fladenbrot (yufka) eingewickelt und so verteilt.
Am dritten Tag versammelt sich die Gemeinde, und die Familie des/der
Verstorbenen richtet „ein spezielles Essen namens Can7 Ekmeği (Can Brot)/
Can Yemeği (Can Essen)/Hayır Yemeği (Wohltat-Essen für die Seele) aus“
(Aksünger-Kizil/Kahraman 2018, 111). Und am 40. Tag, an dem man sich
am Grabe des/der Verstorbenen versammelt, wird die Seele der zu Gott ge-
gangenen Person (hakka yürüyen) mit einer religiösen Zeremonie (dardan
indirme, wörtlich: vom Galgen nehmen) von all ihren irdischen Schulden
freigesprochen.8 Im Anschluss daran wird erneut Essen angeboten, Lokma
und Helva verteilt (vgl. Uyanik/Kala 2013, 72).
3 Interreligiöses Lernen anhand von Speisen:
Versuch einer religionsdidaktischen Verortung
Die Beispiele aus Christentum und Alevitentum zeigen, dass Essen und
Trinken in der religiösen Praxis der beiden Religionen eine nicht zu unter-
schätzende Rolle spielen. Das macht sie für interreligiöses Lernen geeignet.
Dieses kann im Anschluss an Clauß Peter Sajak als ein im Religionsunter-
richt initiierter Lernprozess verstanden werden,
„in dem die bewusste Wahrnehmung, die angemessene Begegnung
und die differenzierte Auseinandersetzung mit Zeuginnen, Zeugen
und Zeugnissen fremder Religionen eingeübt und entwickelt werden
soll“ (Sajak 2005, 264; Hervorhebung im Orig.).
Ziel des interreligiösen Lernens ist demnach, „die Lernenden […] zur Kon-
vivenz in Respekt und Achtung für den und das Andere hinzuführen“ (Sajak
2018, 88). Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Lernenden Kompeten-
zen erwerben. Was interreligiöse Kompetenz im Einzelnen ausmacht, ist in
der Religionspädagogik breit diskutiert worden. Dabei erscheint vor allem
die Definition von Friedrich Schweitzer als praktikabel. Für ihn ergeben
sich in diesem Zusammenhang drei Grundbegriffe:
̟ Wissen in Bezug auf verschiedene Religionen (einschließlich der
eigenen Religion),
̟ Perspektivenübernahme und
̟ Handlungsfähigkeit in Kontexten, in denen verschiedene Religio-
nen eine Rolle spielen (vgl. Schweitzer 2014, 154).
7 „Can“ bedeutet in diesem Kontext
„die reine Seele“. Der Begriff be-
zeichnet Folgendes: Während den
unterschiedlichen religiösen Zere-
monien verschwinden die weltlichen
Erkennungszeichen wie Geschlecht,
sozialer Status, Alter etc., und übrig
bleiben die Seelen, die neutral be-
trachtet die Einheit mit Gott dar-
stellen sollen.
8 Um die vollkommene Seelen-
ruhe zu ermöglichen, begleicht
der Wegbruder/die Wegschwester
(musahip) der/des Verstorbenen
etwaige Schulden (kul hakki), welche
nicht unbedingt finanzieller Natur
sein müssen (vgl. Uyanik/Kala 2013,
73–74).
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 4:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 214
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven