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Kurt Remele | Ein Fisch namens Jesus
lassen. Pythagoras von Samos, der ein halbes Jahrtausend vor Christus leb-
te, war ein bekannter Mathematiker und Philosoph. Von ihm wird erzählt,
dass er nahe Krotons in Süditalien am Strand Fischern begegnete, „gerade
als das Netz beuteschwer aus der Meerestiefe herausgeholt wurde“ (Iam-
blichos 1963, 43). Pythagoros sagte den Fischern die genaue Zahl der Fische
voraus, die sie gefangen hatten. Die Fischer antworteten, dass sie alles tun
würden, was er ihnen befehlen würde, sollte die Zahl tatsächlich stimmen.
Pythagoras behielt recht und trug den Fischern auf, den Fischen Leben und
Freiheit zu schenken. In seiner legendenreichen Darstellung von Leben und
Lehre Pythagoras’ fügt sein Biograf Iamblichos hinzu:
„Und – noch ein größeres Wunder! – keiner der Fische, die doch während
der langen Zeit des Zählens außerhalb des Wassers bleiben mussten, ver-
endete, nur weil Pythagoras dabeistand. Er bezahlte den Fischern auch
noch die Fische und kehrte nach Kroton zurück.“ (Iamblichos 1963, 43,
45; vgl. Drewermann 1981, 204–205)
Ein andere Erzählung, bei der ein weiser und heiliger Mann das Leben von
Fischen rettet, findet sich über zwei Jahrtausende später im Hinduismus.
Der Reformer Swaminarayan (1781–1830) begründete eine Form des Hin-
duismus, die sich gegen traditionelle Praktiken wie Witwenverbrennungen
(Sati) ausspricht, Armenspeisungen durchführt und für eine vegetarische
Ernährungsweise eintritt. Es wird berichtet, dass Swaminarayan im Kin-
desalter mit seinen Freunden zum Dorfteich seines Geburtsortes Chhapai-
ya in Nordindien ging, um dort zu baden. Am Ufer erblickte Swaminarayan
einen Fischer, der seinen Fang in einen Weidenkorb schüttete:
„Er wurde traurig und dachte: ‚Wie kann ein Mensch so grausam und
herzlos sein, eine solche Sünde zu begehen.‘ Ihm blutete wegen der un-
schuldigen Fische das Herz. Er erkannte, dass solche Taten aus Unwis-
senheit darüber begangen werden, was gut und böse ist, was Wahrheit
ist und was Unwahrheit, was Gewalt ist und was Gewaltfreiheit.“ (Vi-
vekjivandas 2004, 5; Übersetzung K. R.)
Der junge Swaminarayan erweckte die Fische wieder zum Leben und einer
nach dem anderen sprang zurück in das Wasser. Der Fischer war erwar-
tungsgemäß wenig erfreut und stürmte erbost auf Swaminarayan und sei-
ne Freunde zu. Daraufhin erschien ihm Yam, der furchterregende Hindu-
Gott des Meeres und anderer Gewässer, und brachte ihn zur Einsicht. Und
der junge Swaminarayan ermahnte ihn: „Genauso wie Du haben auch die
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Volume 4:2
- Title
- Limina
- Subtitle
- Grazer theologische Perspektiven
- Volume
- 4:2
- Editor
- Karl Franzens University Graz
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- Size
- 21.4 x 30.1 cm
- Pages
- 214
- Categories
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven