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Naiver Realismus? Zur GegenstĂ€ndlichkeit des Sammelnsâ â
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sich prinzipiell nicht totalisieren lĂ€sstâ (Gabriel 2016, 179). Im Grunde ist diese
Argumentation zirkulÀr, denn der Begriff des Sinnfeldes erfasst lediglich das Aus-
gangsdilemma. Zudem ist nicht ersichtlich, warum es nicht, was doch offensicht-
lich der Fall ist, Sinnfelder geben kann, fĂŒr die die âWeltâ ein zentrales Element
ist. Die Theorie der Sinnfelder ist weder klar bestimmt noch abgegrenzt zu alterna-
tiven Modellen diskursiver oder kultureller Praktiken. Die Bereichsontologie (vgl.
Gabriel 2016, 174â176) ist vom Bereichskonstruktivismus schwer zu unterschei-
den. Keine Diskurstheoretikerin wĂŒrde doch behaupten, dass die Diskurse völlig
unabhÀngig von den GegenstÀnden existieren, auf die sie sich beziehen. Gabriel
verteidigt den ontologischen Status epistemischer Theoriekonstruktionen, inso-
fern diese dazu dienten âGegenstĂ€nde epistemisch so zu individuieren, dass dies
ihren ontischen Individuationsbedingungen entsprichtâ (Gabriel 2016, 35). Aber
die Herausforderung lĂ€ge ja nun gerade darin, den Nachweis zu fĂŒhren, dass und
wie sie es tun â den bloĂen Anspruch darauf erhebt auch der radikalste Konstruk-
tivist. Im Ăbrigen ist vor diesem Hintergrund nicht einsichtig, warum dieser
Anspruch nicht auch fĂŒr den sog. gesunden Menschenverstand gelten darf, der in
der Erkenntnistheorie ânichts zu suchenâ habe (Gabriel 2016, 42). Im Gegenteil
reicht dieser in bestimmten FĂ€llen doch völlig aus, um die âontischen Individua-
tionsbedingungenâ etwa einer Briefmarkensammlung zu bestimmen. In Nicolai
Hartmanns Ontologie war die sog. natĂŒrliche Einstellung deshalb die gewissen
Kontexten angemessene Position, von der die Philosophie auszugehen hat. Dem
Neuen Realismus fehlt im Vergleich dazu hingegen eine Skalierungkomponente.5
Die besonders im angelsÀchsischen Bereich verbreitete Version des antimeta-
physischen Realismus, die zunehmend auch im Bereich kontinentaler Kunstheo-
rie rezipiert wird, bezeichnet sich selber als Objektorientierte Ontologie (mit der
selbstgewĂ€hlten AbkĂŒrzung OOO bzw. âTriple-Oâ; vgl. Harman 2018). Sie gehört
in den weiten Bereich des sog. New Materialism, der im Unterschied zum post-
strukturalistischen MaterialitÀtsbegriff wieder ontologisch, z. T. sogar physikalis-
tisch argumentiert, freilich ohne naturwissenschaftlichen Anspruch.6 Im Ver-
gleich mit der Sinnfeld-Theorie ist die Objektorientierte Ontologie insofern
radikaler, als sie jeden Anflug von Anthropozentrismus oder Privilegierung
menschlicher Perspektiven aufs SchĂ€rfste bekĂ€mpft â genealogisch steht dahin-
ter wohl noch immer die französische Rezeption von Heideggers Humanismus-
Brief, vermittelt in neuerer Zeit insbesondere durch die âDemokratisierungâ der
Ding-Welt bei Bruno Latour. Die deutsche Tradition idealistisch-dialektischen
5â Zur Skalierung in den Geisteswissenschaften vgl. Spoerhase (2018).
6â Das fĂŒhrt bisweilen zu einer fragwĂŒrdigen Begeisterung fĂŒr Panpsychismus, Animismus oder
Schamanismus. Zu Kritik vgl. etwa Zahavi (2016) sowie Boysen (2018).
Logiken der Sammlung
Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Title
- Logiken der Sammlung
- Subtitle
- Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Authors
- Petra-Maria Dallinger
- Georg Hofer
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069647-9
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 202
- Keywords
- Archiv, Nachlassinventar
- Categories
- Weiteres Belletristik