Page - 47 - in Logiken der Sammlung - Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
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Idiosynkrasie und Systematik in KünstlerInnenarchiven
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hat, anders ausgedrückt, für uns und die ForscherInnen analog und digital nach-
vollziehbare Ordnungskriterien zu schaffen, die zwischen diesen beiden Ordnun-
gen über Konkordanzen, Findbücher etc. Dinge zueinander bringen, inhaltliche
Bezüge schaffen, die in der „Logik der Sammlung“ der Künstlerin oft auf unter-
schiedliche Ordnungssysteme verteilt sind. Das hängt nicht zuletzt damit zusam-
men, dass beispielsweise für den Transport nochmals eine eigene Ordnung
(Boxen, Schachteln) geschaffen werden musste.
5 Das Verhältnis von Archiv und Werk
Die Archivarbeit an so einer Sammlung ist eine forensische Arbeit, die durchzo-
gen ist von Variablen, Unwägbarkeiten und Kontingenzen. Im Fall VALIE EXPORT
um so mehr, als das Archiv letztlich einen Teil der künstlerischen Arbeit darstellt,
diese selbst aber nicht Gegenstand des Archivs ist, d. h. das Archiv besteht aus
Recherchedokumenten, Korrespondenzen, Aussortiertem, Skizzen, Büchern, Zei-
tungsartikeln, die mitunter zu den Werken hinführen, aber dessen Bestandteile
nicht selbst Werk sind. Und ihr Archiv ist auch nicht mit dem „archival impulse“,
den Hal Foster für viele künstlerische Ansätze seit den 1960er-Jahren als maß-
geblich konstatiert, zu definieren (vgl. Foster 1967): In diesen steht nicht nur der
Prozess, der in Notaten, Skizzen, Entwürfen in Archiven abgebildet wird, oft
gleichwertig neben dem Werk, vielmehr ist das Archiv der Bilder selbst grund-
sätzlich Gegenstand der künstlerischen Praxis. Oder es trifft eine andere Variante
zu: Das, was gängigerweise eine Archivalie wäre, eine Konzeptskizze wird in der
Konzeptkunst zum integralen Bestandteil der Kunst selbst, wenn nicht sogar der
entscheidende: denn die Idee ist das Konzept und die Ausführung, wie wir
wissen, nicht zwangsläufig vom Künstler/der Künstlerin selbst auszuführen.
Oder wie es Sol LeWitt ausgedrückt hat: „Alle Zwischenschritte – Kritzeleien,
Skizzen, Zeichnungen, gescheiterte Arbeiten, Modelle, Studien, Gedanken,
Gespräche – sind von Interesse. Solche, die den Denkprozess des Künstlers
zeigen, sind oft interessanter als das finale Produkt“ (LeWitt 1967, 82).
KünstlerInnenarchive als Orte künstlerischer Forschung treten zunehmend
in den Fokus, sei es als Quelle zur Erforschung von Werkkomplexen oder eben als
künstlerische Methode. Wie wäre also die Grenzlinie zwischen einem Archiv als
Dokumentensammlung und einem Archiv, das sich über die Ästhetik und die
(vermeintliche) Verweiskraft des Historischen des Archivs – des eigenen Archivs
oder fremder Archive – konstituiert, zu ziehen? Und welche Definition trifft auf
die Anlage des Archivs von VALIE EXPORT zu? Diese Frage ist schnell beantwor-
tet: EXPORTs Archiv verdankt sich in erster Linie dem Überlieferungswillen der
Logiken der Sammlung
Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Title
- Logiken der Sammlung
- Subtitle
- Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Authors
- Petra-Maria Dallinger
- Georg Hofer
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069647-9
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 202
- Keywords
- Archiv, Nachlassinventar
- Categories
- Weiteres Belletristik