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Selbstzeugnisse sammelnâ â
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Wiener Sammeleinrichtungen nicht fĂŒndig wurden, schalteten die Forscherin-
nen einen Zeitungsaufruf, woraufhin tatsÀchlich die umfangreiche schriftliche
Hinterlassenschaft der Lehrerin und Frauenrechtlerin Mathilde Hanzel-HĂŒbner
(1884â1970, vgl. u. a. Bernold und Gehmacher 2003) ĂŒbernommen werden konnte.
Diese bildete schlieĂlich einen ersten Grundstock des Bestandes der spĂ€ter
formell gegrĂŒndeten und am Institut fĂŒr Geschichte der UniversitĂ€t Wien auf- und
ausgebauten Sammlung FrauennachlÀsse (vgl. u. a. HÀmmerle 2006; Gerhalter
2013).
Auch die Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen ist im
Rahmen von studentischen Projekten entstanden. In diesem Fall war eine der
maĂgeblichen Initiativen ein GesprĂ€chskreis, der 1984 an der Volkshochschule
Ottakring stattgefunden hat. Und auch Michael Mitterauer, der GrĂŒnder dieser
Einrichtung, sprach in dem Zusammenhang von einem âkommunikativen ProzeĂ,
eine[m] ProzeĂ, in dem sich Menschen auf die Lebensgeschichte anderer voll ein-
gelassen haben: wissenschaftlich und nichtwissenschaftlich tÀtige Autoren, For-
scher und Laien, wobei die âForscherâ durchaus in die Rolle der âLaienâ geraten
konntenâ (Mitterauer 1991, 17â18). Edith Saurer und Michael Mitterauer berichte-
ten hier von zwei Initiativen mit offenem Ausgang, denen bei aller Unterschied-
lichkeit ein Ă€hnliches BemĂŒhen um eine demokratische Erinnerungskultur
zugrunde lag, das sowohl die Forschenden als auch die Beforschten gleichbe-
rechtigt mit einbezogen hat.
Entsprechend richteten sich Initiativen wie diese beiden Wiener Unter-
nehmungen an eine breitere Ăffentlichkeit. Sie fanden hĂ€ufig in auĂer- oder
âsemiuniversitĂ€renâ Kontexten statt, an Volkshochschulen oder in sogenannten
GeschichtswerkstĂ€tten, die im Rahmen der âneue[n] Geschichtsbewegungâ gegrĂŒn-
det worden sind (Lessau 2015, 338).9 Aktuell werden solche Projekte auch mit dem
Schlagwort âPublic Historyâ in Verbindung gebracht (vgl. u. a. Gautschi 2017).
Die bunten AnlĂ€sse zur GrĂŒndung historisch ausgerichteter Sammlungen
fĂŒr Selbstzeugnisse
Sowohl die Sammlung FrauennachlÀsse als auch die Dokumentation lebensge-
schichtlicher Aufzeichnungen sind aus konkreten Forschungsvorhaben hervor-
gegangen. Das prosperierende Umfeld der âneuen Geschichtsbewegungâ förderte
aber auch ganz andere Initiativen wie etwa populare Veröffentlichungsformate.
9â Ein Slogan war die von dem schwedischen Schriftsteller und Literaturhistoriker Sven Lind-
qvist geprĂ€gte Formulierung âGrĂ€v dĂ€r du stĂ„râ/âGrabe wo du stehstâ (Lindqvist 1991).
Logiken der Sammlung
Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Title
- Logiken der Sammlung
- Subtitle
- Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Authors
- Petra-Maria Dallinger
- Georg Hofer
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069647-9
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 202
- Keywords
- Archiv, Nachlassinventar
- Categories
- Weiteres Belletristik