Page - 87 - in Logiken der Sammlung - Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
Image of the Page - 87 -
Text of the Page - 87 -
Der eine kommt ins Archiv, der andere kommt nicht ins Archiv   
87
Verkauf orientierte Schiene, die eine standardisierte Form und Dramaturgie mit
sich bringt – und nebenbei, wie erwähnt, anscheinend auch wenig Platz für eth-
nische und Geschlechterdiversität bietet.
Die Sammlungen des ÖKA zeigen also, dass die Zuschreibung „Kabarettistin“
oder „Kabarettist“ immer grundsätzlich mit anderen Rollen der jeweiligen Akteu-
rinnen und Akteure korrelieren, wenn nicht sogar voraussetzt, und dadurch auch
ein bestimmtes Künstlersubjekt konstruiert wird. Dies spiegelt sich auch in den
gesammelten Zeitungsausschnitten wieder. Meist ist die Berichterstattung, wenn
es sich nicht um eine explizite Kritik einer Aufführung handelt, ein Interview. Die
Kabarettistin oder der Kabarettist stehen als „sie selbst“ Rede und Antwort. Dass
auf der Bühne Rollen gespielt werden, wird meist nur bei sehr offensichtlichen
Ausreißern – z. B. Markus Hirtler (als Ermi-Oma) – thematisiert. Dieser Zusam-
menhang ist auch insofern interessant, da einige KabarettistInnen ihre „eigentli-
che“ Profession auf der Bühne thematisieren – z. B. Medizin (Peter und Teut-
scher) oder Psychologie/Psychotherapie (Bernhard Ludwig, Barbara Balldini). Im
Vordergrund steht die Annahme einer bestimmten, mit Blick auf den akademi-
schen Diskus sicher als naiv zu wertenden (vgl. Knaller und Müller 2006) Vorstel-
lung von „Authentizität“, d. h. einer bruchlosen Übereinstimmung von Bühnen-
persona und Darstellerin oder Darsteller. Die Zeitungsausschnitte im ÖKA zeigen
zudem klar die unterschiedlichen Aspekte der Selbstvermarktung der Kabarettis-
tinnen und Kabarettisten sowie die damit verbundenen Praktiken, die von Dauer-
brennern wie anstoßerregender Vulgarität und mangelnder „political correct-
ness“ (z. B. Martin Puntigam, Stermann und Grissemann) über Regierungskritik
(z. B. Florian Scheuba, Thomas Mauerer) bis aktuell hin zum Phänomen der
bewussten Sexualisierung der eigenen Person (z. B. Paul Pizzera, Lisa Eckhardt)
reichen.
4  Zusammenfassung
Der praxeologische Zugang zu den Sammlungen des ÖKA beleuchtet unterschied-
liche Bereiche der Kunstform, die bislang – trotz der unterschiedlichen Definiti-
onsversuche – außen vor geblieben sind. Was durch den praxeologischen Zugang
in den Blick rückt, ist die Tatsache, dass Kabarett grundsätzlich ohne „Text“ oder
„Werk“ im engeren, materiellen Sinn auskommt. So lässt der gewählte Zugang
einerseits Rückschlüsse auf bestimmte Praktiken der Ausübenden zu, die direkt
ernst, leger-elegant mitunter – Alf Poier und ein paar andere sind die Ausreißer, die man auch
als solche wahrnimmt.
Logiken der Sammlung
Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Title
- Logiken der Sammlung
- Subtitle
- Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Authors
- Petra-Maria Dallinger
- Georg Hofer
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069647-9
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 202
- Keywords
- Archiv, Nachlassinventar
- Categories
- Weiteres Belletristik