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Sammlung zur Repression – Zugang als demokratisches Recht   
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Gegen identifizierte Regimegegner wurden Maßnahmen eingeleitet, die von
intransparenten Einflussnahmen auf Ausbildungs- und Arbeitsstellen wie auf
Gerichtsverfahren (vgl. Fricke 1992, 253–273; Engelmann und Vollnhals 1999) bis
zum Einsatz von Mitteln sog. Zersetzung, etwa durch Streuung falscher Gerüchte
im persönlichen Umfeld oder Manipulationen in der Wohnung, zur psychischen
Zermürbung reichten (vgl. Neubert 2003, 167, 185–186; Fuchs 1997; MfS 1976, 2.6).
Diese Maßnahmen wurden in sog. operativen Vorgängen (OV) dokumentiert.
Neben Opferakten gibt es Akten zu den IM, die neben den persönlichen Daten
auch die gelieferten Berichte enthalten, Ermittlungsakten (sog. Untersuchungs-
vorgänge), eine umfangreiche Sammlung von NS-Akten,4 vom MfS verwahrte Jus-
tizakten, Personal („Kader“)-Akten sowie das allgemeine Verwaltungsschriftgut
eines Ministeriums.
Die Organisation und Verwaltung der umfassend gesammelten personenbe-
zogenen Informationen folgten den Zwecken und der Logik einer Geheimpolizei:
Entscheidend war, auf diese möglichst schnell, effizient und umfassend zugrei-
fen zu können. Kernstück der MfS-internen Archivabteilung (XII) waren die sog.
zentralen Karteien, die dem Nachweis aller von den operativen Diensteinheiten
des MfS erfassten Personen und angelegten Vorgänge dienten (vgl. Lucht 2015).
Die wichtigsten Findmittel waren – und sind bis heute – die sog. Personen-
kartei (F 16) und die sog. Vorgangskartei (F 22). In der Personenkartei sind alle
Personen mit Geburtsort und Datum enthalten, die das MfS erfasst hat, ohne dass
erkennbar ist, ob sie Betroffene, IM oder unbeteiligte Dritte waren. Mit 5,6 Mio.
Karteikarten stellt sie für sich genommen schon ein beklemmendes Produkt des
Überwachungsstaates dar. Die Vorgangskartei (1,2 Mio. Karten) gibt Aufschluss
über die Art des Vorgangs, enthält aber nicht die Klarnamen der erfassten Per-
sonen und bezeichnet den IM nur mit seinem Decknamen. Informationen aus
den getrennt voneinander untergebrachten Karteien waren – dem Prinzip der
internen Konspiration folgend – nur im Einzelfall über die jeweils enthaltene
Registriernummer einander zuzuordnen. Über die Vorgangskartei ist dann mit
der entsprechenden Signatur der Zugriff auf die entsprechende Akte möglich.
Neben weiteren zentral geführten Karteien führten die zuletzt 44 Abteilungen
des MfS sowie die 15 Bezirksverwaltungen und 209 Kreisdienststellen Tausende
dezentraler Karteien. Insgesamt sind 41 Mio. Karteikarten überliefert (vgl. Lucht
2015, 181).
4  Diese wurden in der Hauptabteilung IX/11 des MfS verwaltet und dienten nicht in erster Linie
strafrechtlichen Ermittlungen, sondern operativen und propagandistischen Zwecken gegenüber
der Bundesrepublik.
Logiken der Sammlung
Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Title
- Logiken der Sammlung
- Subtitle
- Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Authors
- Petra-Maria Dallinger
- Georg Hofer
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069647-9
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 202
- Keywords
- Archiv, Nachlassinventar
- Categories
- Weiteres Belletristik