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156â â Joachim Förster
ablauf tendenziell an Gewicht eher zunehmen. Mit der bloĂen Herausgabe ist
zwar noch kein Werturteil im konkreten Einzelfall verbunden, die formale Kate-
gorisierung der âIM-Unterlageâ wird aber gleichwohl im praktischen Leben nicht
selten bereits als eine Art Stigmatisierung empfunden. Insbesondere vor einer
Veröffentlichung personenbezogener Informationen sollte daher stets durch den
Autor geprĂŒft werden, ob diese fĂŒr den Aufarbeitungszweck erforderlich ist.
b) Verwendung von Unterlagen zu Verstorbenen
Fraglich ist, ob nach Ablauf der 30-Jahres-Frist nach Tod einer Person die Verwen-
dung personenbezogener Unterlagen ohne AbwÀgung uneingeschrÀnkt zulÀssig
ist. Dies ist bei besonders sensiblen Unterlagen oder Informationen problema-
tisch, insbesondere, wenn mit ihnen kein spezieller Erkenntniswert fĂŒr die Aufar-
beitung verbunden ist.
Eine politische Dimension hat die Frage, ob sog. menschenrechtswidrig erho-
bene Informationen 30 Jahre nach Tod einer Person der Zeitgeschichte oder eines
AmtstrĂ€gers zugĂ€nglich gemacht werden dĂŒrfen. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts sind menschenrechtswidrig erlangte Informationen
auch dann von einer Verwendung ausgeschlossen, wenn sie die AmtsfĂŒhrung
oder die zeitgeschichtliche Rolle einer Person betreffen.13 Dies betrifft vor allem
wörtliche Abhörprotokolle, von denen allenfalls etwaige Zusammenfassungen
des MfS ausschlieĂlich Forschern zugĂ€nglich gemacht werden dĂŒrfen. Hier stellt
sich die Frage, ob dieses Verwendungsverbot auch 30 Jahre nach Tod der Person
fort gilt. Das wissenschaftliche oder mediale Aufarbeitungsinteresse (etwa an
von der Stasi durch AbhörmaĂnahmen erfasste VorgĂ€nge in der Bundesrepublik)
kollidiert hier mit der menschenrechtswidrigen Entstehung der Information. Der
BStU hat bisher entsprechende AntrĂ€ge abgelehnt. HierfĂŒr spricht, dass die men-
schenrechtswidrige Entstehung einer Information nicht automatisch durch Zeit-
ablauf âgeheiltâ wird. Rechtspolitisch denkbar wĂ€re hier unter UmstĂ€nden die
EinfĂŒhrung einer 60-Jahres-Frist.
c) Nutzung von Stasi-Unterlagen im Zeitalter des Internets
Aktuell stellt sich immer wieder die Frage, ob und in welchen FĂ€llen das Einstel-
len von Stasi-Unterlagen ins Internet zulÀssig ist. Problematisch sind hierbei die
FĂ€lle, in denen sie personenbezogene Informationen enthalten.
13â
Vgl. die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts mit dem sog. 2. Kohl-Urteil vom 23. Juni
2004; kritisch dazu Heintschel von Heinegg (2004, 505â508); vgl. auch § 32 Abs. 1 Satz 3, Abs. 3
Satz 3 StUG.
Logiken der Sammlung
Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Title
- Logiken der Sammlung
- Subtitle
- Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Authors
- Petra-Maria Dallinger
- Georg Hofer
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069647-9
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 202
- Keywords
- Archiv, Nachlassinventar
- Categories
- Weiteres Belletristik