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180â â Johannes John
Der fromme Spruch, sondern vor allem ĂŒber einen Fundus von mehr als 700 Briefen
von und rund 1.000 Briefen an Stifter; das KernstĂŒck dieses Konvoluts bilden die
284 Briefe an seinen Verleger und Gönner Gustav Heckenast, wobei dessen Korre-
spondenz mit Stifter bis heute leider als verschollen gelten muss. Spannend, falls
dieses Adjektiv angesichts der Katastrophengeschichte des 20. Jahrhunderts
ĂŒberhaupt angemessen ist, in jedem Fall aber nicht leicht zu ermitteln, war das
weitere Schicksal dieses Archivs in der ersten JahrhunderthĂ€lfte, das â so die
Recherchen â stets in Prag verblieb, wenngleich unter nomenklatorisch jeweils
verĂ€nderter Obhut. 1924 wurde die âGesellschaft zur Förderung âŠâ in âDeutsche
Gesellschaft fĂŒr Wissenschaft und KĂŒnste fĂŒr die Tschechos
lowakische Repu-
blikâ umbenannt, die nach der 1938 erfolgten Okkupation durch deutsche Truppen
1941 in eine âDeutsche Akademie der Wissenschaften in Pragâ umgewandelt
wurde (vgl. Hoskovec 2010, 30). Nach Ende des Kriegs schlieĂlich gingen die
BestĂ€nde in die Obhut der âNĂĄrodnĂ knihovnaâ (Nationalbibliothek) ĂŒber, wo
sich das Stifter-Archiv in deren Handschriftensammlung im Klemen tinum unweit
der KarlsbrĂŒcke bis heute befindet.
Wo es allerdings â trotz weiterer wissenschaftlicher Frequentierung â fĂŒr die
scientific community zumindest bis 1962 in einen Dornröschenschlaf fiel, was
nicht nur â politics again â der relativen UndurchlĂ€ssigkeit des ,Eisernen Vor-
hangsâ geschuldet war. Erst 1962 nĂ€mlich veröffentlichte der bereits erwĂ€hnte, an
der Prager Akademie der Wissenschaften tÀtige Alois Hofman in der Vierteljahrs-
schrift des Adalbert-Stifter-Institutes auf 170 Seiten eine detaillierte Inventarliste,
die â von einem frĂŒhen Bericht Sauers abgesehen â erstmals ĂŒber die in Prag
archivierten Stifteriana informierte (vgl. Hofman 1962; dazu auch TvrdĂk 1995,
253). Sie bildet bis heute die einzige Informationsquelle, wobei ,Stifterianaâ hier
buchstÀblich zu verstehen ist. Die mehrere hundert Seiten umfassenden Abschrif-
ten der Briefe Stifters etwa, die sein Nachlassverwalter Johann Aprent (1823â1893)
fĂŒr die Herausgabe seiner dreibĂ€ndigen Briefausgabe (Aprent 1869) angefertigt
hat, sind unter der Signatur â15â zwar archiviert, aus Hofmans Ăbersicht aber nur
indirekt zu entschlĂŒsseln, was editionsphilologisch insofern von groĂer Bedeu-
tung ist, da Aprent diese Briefe fĂŒr seine Auswahl nicht nur bearbeitet, sondern
einige Dokumente wegen ihres ,unmĂ€nnlichen Charaktersâ eingestandenerma-
Ăen auch vernichtet hat, so dass fĂŒr diese Verluste seine Abschriften die nunmehr
einzigen Quellen bilden (vgl. Doppler 2007). Nun sind KĂŒrzungen und Auslassun-
gen mit RĂŒcksicht auf die PrivatsphĂ€re auch heute in zeitgenössischen Briefediti-
onen durchaus ĂŒblich, wie rabiat, rigoros und bedenklich jedoch Aprents Strei-
chungen nicht selten sind, mag jenes Beispiel vor Augen fĂŒhren, wo Stifters
ambivalente Passage âDie Kunst kann Ihr Tröster und Ihr RĂ€cher sein âŠâ aus
seinem Brief an Guido Lehmann vom 13. Februar 1863 in Aprents ,bearbeitenderâ
Abschrift ebenso kurzerhand wie eindeutig, und das heiĂt eindeutig verfĂ€lschend
Logiken der Sammlung
Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Title
- Logiken der Sammlung
- Subtitle
- Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Authors
- Petra-Maria Dallinger
- Georg Hofer
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069647-9
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 202
- Keywords
- Archiv, Nachlassinventar
- Categories
- Weiteres Belletristik