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Archiv und Politik â
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Dass der Anspruch Bayerns, sich âals TreuhĂ€nder fĂŒr die Werke Stifters und
darĂŒber hinaus fĂŒr das Kunsterbe des böhmisch-mĂ€hrischen Raumesâ zu fĂŒhlen,
wie ihn das Mitteilungsblatt des Adalbert Stifter Vereins in MĂŒnchen im Januar
1965 erhob (vgl. Schacherl 1965, 7â8), gerade in Linz, wo Stifter seit 1848 bis zu
seinem Tod nicht nur als Dichter und Maler, sondern ebenso seit 1851 in amtlicher
TĂ€tigkeit als k. k. Schulrat wie als Landeskonservator fĂŒr die KunstschĂ€tze Ober-
österreichs und Mitglied des Linzer Kunstvereins vielfÀltig gewirkt hatte und wo
seit den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts das Adalbert-Stifter-Institut sich inten-
siv dessen wissenschaftlicher Pflege widmete, jedoch als verbale Provokation
wirken musste, ist leicht nachvollziehbar, wenngleich MĂŒnchen bereits zuvor
schon im Besitz wichtiger Manuskripte, etwa der Brigitta, gewesen war (vgl.
Landthaler 1967). Auch wenn zudem wichtige Werkausgaben nach dem Zweiten
Weltkrieg â genannt seien nur die von Max Stefl herausgegebenen âUrfassungenâ
der Stifterâschen ErzĂ€hlungen (Stefl 1950â1952)18 â in Bayern erschienen waren,
sind die Replik auf diesen (Alleinvertretungs-)Anspruch wie auch das Schluss-
wort der ErklÀrung des Stifter-Instituts von kaum bestreitbarer Stichhaltigkeit:
Mit welchem Recht sich Bayern und MĂŒnchen eine âTreuhĂ€nderschaftâ selbst zugesprochen
haben, bleibt unerfindlich. HĂ€tte nicht Ăsterreich eher ein Anrecht auf die Handschriften
gehabt? Im Gymnasium zu KremsmĂŒnster empfing Stifter die Grundlagen seines Wissens
und seiner Bildung; in Wien wurde sein Ruhm als Dichter begrĂŒndet; in Oberösterreich ent-
faltete er seine segensreiche TĂ€tigkeit als Landesschulinspektor und als Konservator der
Zentralkommission zur Erforschung und Erhaltung der BaudenkmÀler; in Oberösterreich
schrieb er seine groĂen Werke; in Linz liegt er begraben und vor dem Landhaus zu Linz
steht sein schönstes Denkmal. Hat man in MĂŒnchen nicht gewuĂt, daĂ unser Institut sich
die Erforschung von Stifters Leben und Werk schon seit dem Jahre 1950 angelegen sein lĂ€Ăt,
daĂ hier Stifter-Forscher und -Freunde, Lehrer und SchĂŒler aus aller Herren LĂ€nder ein-
und ausgehen? [âŠ] Niemand wird abstreiten können, daĂ aus den Werken Stifters der öster-
reichische Geist in seiner schönsten und reinsten Form spricht, ein Geist, der ĂŒberall zu
Hause sein kann. Es gibt keine TreuhĂ€nderschaft ĂŒber diesen Geist, und man kann dem
Dichter nach seinem Tode kein neues BĂŒrgerrecht verleihen. (Adalbert-Stifter-Institut des
Landes Oberösterreich 1965, 141â142)19
Von einem infolge der UmbrĂŒche wie Ăffnungen des Epochenjahres 1989
nunmehr leichter möglich gewordenen transnationalen VerstÀndnis Stifters als
einem im böhmischen Oberplan, dem heutigen Hornà Plana, geborenen österrei-
18â Die HKG ersetzt den Terminus âUrfassungenâ fĂŒr die Studien (HKG 1.1â1.3) und die Bunten
Steine (HKG 2.1) durch die Bezeichnung âJournalfassungenâ.
19â
Vgl. zu den hier genannten Stationen KremsmĂŒnster, Wien und Linz den auch Stifters Geburts-
ort Oberplan einbeziehenden vierteiligen Konferenz-Zyklus ĂŒber Stifters Welten (2014â2017); ver-
öffentlicht in: Becher und Mayer (2017); Dallinger und Hofer (2018).
Logiken der Sammlung
Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Title
- Logiken der Sammlung
- Subtitle
- Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Authors
- Petra-Maria Dallinger
- Georg Hofer
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069647-9
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 202
- Keywords
- Archiv, Nachlassinventar
- Categories
- Weiteres Belletristik