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18 | Gerhard Botz, Alexander Prenninger, Regina Fritz, Heinrich Berger und Melanie Dejnega
chigen – sind die Erinnerungen der Überlebenden dagegen im Vergleich mit den zeit-
genössischen schriftlichen Quellen lange Zeit als weniger bedeutsam gewertet und erst
sehr spät voll gewürdigt worden.19 In den 1990er Jahren hat hier ein langsamer Wandel
eingesetzt, der auch mit einer neuen – letzten – Welle an veröffentlichten Autobiogra-
fien und der systematischen Sammlung von mĂĽndlichen Lebensgeschichten im Rah-
men von Oral-History-Projekten einherging.20 Der seither anhaltende Boom von in-
dividuellen Erinnerungen und ganz persönlichen Lebensgeschichten steht dabei nicht
zuletzt mit einem wachsenden Bewusstsein über das «Verschwinden der Zeitzeugen»
in Zusammenhang.21
Die Erinnerungen der Ăśberlebenden
Zeitzeugenberichte sind gegenwärtig gerade für den Einsatz im Schulunterricht, in
der Erwachsenenbildung, in Ausstellungen sowie in Film und Fernsehen besonders
beliebt.22 Sie vermitteln historische Authentizität und ermöglichen auch den jünge-
ren Generationen, die auf keine direkten Erinnerungszählungen etwa in der Familie
und psychologische Studien zu Berichten ungarisch-jüdischer Überlebender, Frankfurt a. M./New York
1991 (Studien zur Historischen Sozialwissenschaft, 16). Eine fruchtbare Analyse von schriftlichen au-
tobiografischen Berichten französischer Mauthausen-Überlebender stammt von Peter Kuon : L’écriture
des revenants. Lecture des témoignages de la déportation politique, Paris 2013. Zum «Genre» Über-
lebendenberichte vgl. Jan Philipp Reemtsma : Die Memoiren Ăśberlebender. Eine Literaturgattung des
20.Â
Jahrhunderts, in : Mittelweg 36.4 (1997), S. 29–39, und Jens-Christian Wagner : Produktion des Todes.
Das KZ-Mittelbau-Dora, Göttingen 22004, das Kapitel «Der Häftlingsbericht. Kritik einer Quellengat-
tung», S. 29–41.
19 Vgl. Detlef Briesen/RĂĽdiger Gans : Ăśber den Wert von Zeitzeugen in der deutschen Historik. Zur Ge-
schichte einer Ausgrenzung, in : BIOS 6.1 (1993), S. 1–32. Siehe dagegen neben der frühen Studie von
Falk Pingel : Häftlinge unter SS-Herrschaft. Widerstand, Selbstbehauptung und Vernichtung in Konzen-
trationslagern, Hamburg 1978 (Historische Perspektiven, 12), v. a. Michael Pollak : L’expérience concen-
trationnaire. Essai sur le maintien de l’identité sociale, Paris 2000 ; Marc Buggeln : Arbeit & Gewalt. Das
Außenlagersystem des KZ Neuengamme, Göttingen 2009.
20 Vgl. etwa Ulrike Jureit/Karin Orth (Hg.) : Überlebensgeschichten. Gespräche mit Überlebenden des KZ-
Neuengamme, Hamburg 1994, über ein frühes Oral History-Projekt der Gedenkstätte (1991–1994).
21 Vgl. dazu Michael Rothberg/Jared Stark : After the Witness. A Report from the Twentieth Anniversary
Conference of the Fortunoff Video Archive for Holocaust Testimonies at Yale, in : History & Memory 15.1
(2003), S. 85–96 ; Jan Taubitz : Holocaust Oral History und das lange Ende der Zeitzeugenschaft, Göttin-
gen 2016. Für eine kritische Auseinandersetzung mit der Figur des «Zeitzeugen» siehe Martin Sabrow/
Norbert Frei (Hg.) : Die Geburt des Zeitzeugen nach 1945, Göttingen 2012, und Annette Wieviorka : L’ère
du témoin, Paris 2002.
22 Christoph Classen : Der Zeitzeuge als Artefakt der Medienkonsumgesellschaft. Zum Verhältnis von
Medialisierung und Erinnerungskultur, in : Sabrow/Frei (Hg.), Die Geburt des Zeitzeugen nach 1945,
S. 300–319 ; Ines Seiter : Holocausterinnerung im Museum. Zur Vermittlung zivilreligiöser Werte in nati-
onalen Erinnerungskulturen im Vergleich, Baden-Baden 2017.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Volume 1
- Title
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Volume
- 1
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Heinrich Berger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 426
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen