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37Themenschwerpunkte
der Geschichte der Mauthausen-Überlebenden |
Vor diesem Hintergrund sind auch die Erinnerungen an das Leben und Überleben
im Konzentrationslager Mauthausen unterschiedlich eingefärbt. Geschlecht, nationale,
kulturelle und soziale sowie religiöse Zugehörigkeiten entschieden über bestimmte Er-
fahrungen und in der Folge auch über die Erinnerungen daran. Es gab also nicht den
Mauthausen-Häftling, einen einzigen «Typus», wie sehr dieses Klischee auch in der
Öffentlichkeit vorhanden sein mag, sondern eine Vielzahl von Varianten, wie jemand
das Konzentrationslager Mauthausen er- bzw. überlebte. Die MSDP-Interviews bieten
dabei nicht nur eine multiperspektivische Sicht auf die Häftlingsgesellschaft. Sie sind
auch Zeugnisse des vielfältigen Umgangs mit bzw. der Verarbeitung der erlebten Wirk-
lichkeit durch die Überlebenden.
Band 4 : Mauthausen in individuellen und kollektiven Erinnerungen
Mauthausen wurde nach 1945 in Europa zu einem paradigmatischen «Gedächtnisort»
im Sinne des französischen Historikers Pierre Nora, wenn auch nicht in allen Län-
dern oder zu gleichen Zeitpunkten.39 Der vierte Band beschäftigt sich mit der Frage,
welche Bedeutung der Zeit der Verfolgung und insbesondere der Haft in Mauthausen
im Leben der Überlebenden nach 1945 zukam. Welche Lebenswege schlugen sie nach
der Befreiung ein ? Unter welchen Bedingungen konnten sie über ihre Erfahrungen
sprechen – oder auch nicht ? Welche Bedeutung hatte Mauthausen in kleineren und
größeren Erinnerungskollektiven ?
Die Wege aus den befreiten Lagern des KZ-Komplexes Mauthausen waren vielfältig.
Während ein großer Teil der Überlebenden binnen weniger Wochen in ihre Heimat-
länder repatriiert wurde, mussten andere mehrere Monate warten, bis eine Rückkehr
auch für sie möglich war : Viele waren bei der Befreiung schwer krank und wurden
in Feldhospitälern der US-Armee und in Krankenhäusern gepflegt ; mehrere Tausend
Überlebende starben noch nach der Befreiung. Für andere waren die Transportwege
in die Heimatländer unterbrochen und Grenzen geschlossen. Sehr viele Überlebende
wollten oder konnten nicht mehr in ihre Heimat zurück. Dies betraf vor allem jüdische
Überlebende, deren Familien ermordet, deren Besitz geplündert und deren ganzes Le-
bensumfeld ausgelöscht worden war. Die von vielen erhoffte baldige Emigration verzö-
gerte sich in vielen Fällen, und so mussten sie oft mehrere Jahre lang in DP-Lagern auf
eine mögliche Auswanderung nach Palästina, USA oder andere Staaten warten. Aber
auch nichtjüdische Überlebende wollten oder konnten nicht in ihre Heimatländer zu-
rück : Spanische Überlebende hätten unter dem Franco-Regime weitere Verfolgungen
zu befürchten gehabt. Polnische und ukrainische Überlebende hatten im Widerstand
auf Seiten der konservativen polnischen Heimatarmee bzw. der ukrainischen Natio-
39 Pierre Nora : Zwischen Geschichte und Gedächtnis : Die Gedächtnisorte, in : ders., Zwischen Geschichte
und Gedächtnis, Berlin 1990, S. 11–33.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Volume 1
- Title
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Volume
- 1
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Heinrich Berger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 426
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen