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Mauthausen Survivors Documentation Project (2002/03) |
die im KZ-System «Untergegangenen» strukturell stark von den «Geretteten» unter-
schieden haben ; damit schlossen wir an Primo Levis groĂźe Problemstellung in seinem
letzten Buch an.13 Dennoch gingen wir bei der groben Berechnung der Sample-Ver-
teilung von der (damals bekannten bzw. angenommenen) Gesamtheit der Häftlinge14
aus, wodurch wir auch jene Häftlingsgruppen stärker zu berücksichtigen suchten, die
am stärksten dem Vernichtungsdruck ausgesetzt gewesen waren, wie etwa die als «Ju-
den» kategorisierten Häftlinge. Weiters war beim – an sich peripheren – Problem der
«Repräsentativität» unseres Samples zu bedenken, dass die 2002/03 für Interviews in
Frage kommenden Überlebenden, alte Männer und Frauen, während ihrer Inhaftie-
rung meist unter 20 oder in ihren Zwanzigern gewesen waren und die damals schon
Älteren zum Großteil schon verstorben waren.15 Es ist zwar möglich, vorsichtig gewisse
Rückschlüsse von unserem «Sample» auf die «Häftlingsgesellschaft» als Gesamtheit zu
ziehen, doch müssen dabei wesentliche Einschränkungen beachtet werden. Diese Fest-
stellung erschien uns allerdings nicht so gravierend, dass der wissenschaftliche Wert
der vom MSDP produzierten Interviews dadurch generell geschmälert würde, geht es
doch bei den meisten Oral-History-gestĂĽtzten und erfahrungsgeschichtlichen For-
schungsfragen eher um das je «Besondere» und «Atypische» in einer möglichst großen
Bandbreite von KZ-Erfahrungen und -Erinnerungen, weniger um das «Allgemeine»
und strukturell «Gleiche» bzw. statistisch «Repräsentative», wie etwa Alexander von
Plato immer wieder betonte.16
Die Grundgesamtheit, aus der die Stichprobe gewonnen wurde, umfasste alle Häft-
linge, die sichÂ
– nach damaligem WissensstandÂ
– jemals im Konzentrationslager Maut-
hausen oder einem seiner AuĂźenlager befunden hatten, einerlei wie lange und wo.
Dies bedeutet, dass in unserem Sample auch viele Häftlinge enthalten sind, die nur
relativ kurze Zeit und gegen Ende der NS-Zeit in Mauthausen inhaftiert und meist von
anderen Konzentrationslagern, insbesondere auch vom Lagerkomplex Auschwitz, aber
auch von anderen Lagern hierher transportiert worden waren.
Die Struktur der Stichprobe und die Charakteristik der Interviewten entsprachen
nach einigen Umschichtungen im Verlauf des Projekts (immer noch) im GroĂźen und
Ganzen, wie es unsere Vorgabe und Intention war, der nationalen und der Geschlech-
terverteilung der Häftlinge, annähernd auch deren Verteilungen nach «Winkel»-Kate-
gorien, internen Hierarchien und politischen Richtungen der Häftlinge. Den Teilpro-
jektleitern und -leiterinnen hatten wir daher nahegelegt, darauf RĂĽcksicht zu nehmen
13 Primo Levi : Die Untergegangenen und die Geretteten, MĂĽnchen 1993 [1986].
14 Siehe Andreas Kranebitter : Zahlen als Zeugen. Soziologische Analysen der Häftlingsgesellschaft des KZ
Mauthausen, Wien 2014 (Mauthausen-Studien, 9), S. 171 ; ähnlich siehe auch in den Beiträgen von Kra-
nebitter und DĂĽrr/Lechner in diesem Band.
15 Hans Maršálek : Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen. Dokumentation, Wien 42006 [1974],
S. 159 ff.
16 Etwa mehrfach im Abschlussprotokoll des Workshops vom 6. bis 8. Februar 2003 zum MSDP Video
Exhibition Visitors’ Centre Mauthausen Memorial (abgedruckt im Anhang dieses Bandes).
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Volume 1
- Title
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Volume
- 1
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Heinrich Berger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 426
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen