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80 | Gerhard Botz, Helga Amesberger und Brigitte Halbmayr
sehr empfindlichen Mikrofone nachträglich tontechnisch bearbeitet werden, um etwa-
ige Nebengeräusche herauszufiltern. Zum anderen wäre eine Direkteinspielung (und
zwar keine analoge) von den digitalen Tonträgern in Computer nötig bzw. sinnvoll
gewesen, was aber aus budgetären Gründen und fehlender Technik nicht möglich war.
(Dies hätte den enormen Zeitaufwand für das Anlegen von Sicherheitskopien wesent-
lich reduziert, die zukünftige Vervielfältigung wäre damit auch wesentlich billiger ge-
wesen.) Weiters war bei dieser Vorgabe des Ministeriums nicht bedacht worden, dass
die Transkription der Interviews nicht direkt möglich war, da es damals keine Tran-
skriptionsgeräte für Minidisks gab. Das heißt, die Interviews mussten zur Verschriftli-
chung zuerst auf andere Medien überspielt werden. Diese Umstände führten auch zu
einer jahrelangen Verzögerung bei den Transkriptionen und der Weiterverarbeitung
der MSDP-Interviews, die die weiteren Forschungen blockierte, aber schlieĂźlich durch
das Mauthausen-Archiv teilweise doch noch ermöglicht wurden.
Generell ist bei allen Auswertungen der MSDP-eigenen Datenbank-Inhalte zu
beachten, dass hier subjektive Angaben von Ăśberlebenden gespeichert wurden, die
teilweise von historischen Fakten abweichen. Als Beispiel mag die Angabe einer
israe lischen Interviewten gelten, in Mauthausen von «den Russen» befreit worden
zu sein. Eine mögliche Erklärung hierfür ist : Sie war am Tag der Ankunft der US-
amerikanischen Soldaten derart geschwächt, dass sie diese nicht wahrnahm, son-
dern erst die später eintreffenden Soldaten der Roten Armee mit diesen für sie wich-
tigen Erinnerungen verknüpfte ; möglicherweise geschah dies auch aus politischer
Voreingenommen heit. Die Angaben sind also aus subjektiver Sicht fĂĽr die Person
«wahr», sie hat die Angehörigen der Roten Armee als «ihre» Befreier wahrgenommen,
sie sind fĂĽr sie die «Befreier» ; auch dies warÂ
– fĂĽr unsÂ
– als ein nicht zu ignorierendes
«Faktum» zu nehmen.
Ein weiteres Beispiel betrifft einen erzählten Aufenthalt in Auschwitz-Birkenau.
Viele Ăśberlebende dieses Konzentrations- und Vernichtungslagerkomplexes sind in
ihren Angaben ungenau, indem sie «Auschwitz» für den ganzen Lagerkomplex nen-
nen und sich damit der heutigen symbolischen Ordnung bedienen. Wahrscheinlich
wussten auch manche von ihnen damals gar nicht, in welchem Lagerteil sie sich gerade
befanden, etwa, weil sie die lateinische Schrift und die deutschen Aufschriften nicht
lesen konnten oder weil sie die enge Lagerumzäunung nicht verlassen durften und
nicht genau wussten, wo sie sich topografisch befanden. Vorsichtig sind auch die Zeit-
angaben der Ăśberlebenden zu handhaben, sie spiegeln meist nur die subjektive Zeit
in ihrem Gedächtnis wider. Ähnliches gilt etwa auch für Größenangaben, die selten
wörtlich, eher symbolisch zu nehmen sind.
Auch die erstellte Datenbank kann daher – dies muss immer wieder betont wer-
den – nur als Abbild der Angaben der Mauthausen-Überlebenden gesehen werden,
nicht jedoch als eine proportionale Wiedergabe der historischen Verhältnisse. Die Da-
ten zu kontrollieren und durchgehend zu korrigieren, hätte dem Grundprinzip quanti-
fizierender und EDV-gestützter Geschichtsforschung widersprochen, Daten möglichst
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Volume 1
- Title
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Volume
- 1
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Heinrich Berger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 426
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen