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124 | Heinrich Berger und Alexander Prenninger
der Sowjetunion ; darunter befanden sich 31 Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen und
neun Kriegsgefangene.
Am seltensten ist die Frage nach Widerstand bei den rassistisch Verfolgten – sowohl
bei Juden und Jüdinnen als auch bei Roma und Sinti
– sowie den als Geiseln Deportierten
bejaht worden. Von der letzten Gruppe beantworteten sechs von sieben die Frage nach
Widerstand mit nein ; alle sieben waren im Zuge einer Vergeltungsmaßnahme der Wehr-
macht in Serbien zusammen mit der gesamten männlichen Bevölkerung ihres Dorfes
nach Mauthausen deportiert worden. Von den als Juden und Jüdinnen Verfolgten ver-
neinten 70 Prozent die Frage nach Widerstandshandlungen, nur knapp acht Prozent be-
jahten sie. Erneuert dieser Befund die Unterstellung, dass Juden und Jüdinnen «wie Schafe
zur Schlachtbank» gegangen wären ? Wahrscheinlich trifft eher die Antwort zu, die ein
Überlebender im Fragebogen angegeben hat : «Wir hatten keine Chance !» Verschiedenste
Formen von Widerstand gegen Verfolgung und Vernichtung begegnen uns auch in den In-
terviews mit jüdischen Überlebenden immer wieder : Fluchten oder Untergrundtätigkeit
im kommunistischen oder zionistischen Widerstand im Ghetto sind in den Erzählungen
der Überlebenden ebenso zu finden wie der Versuch, religiöse Traditionen und Riten auch
unter den Bedingungen der Verfolgung zu bewahren. Der Holocaust- und Opferdiskurs
um die Jahrtausendwende – also zu dem Zeitpunkt, als die Interviews geführt wurden –
stand jedoch bereits unter dem Einfluss der «passiven Wende» dieser Diskurse und Holo-
caust-Überlebende damit nicht mehr unter dem Druck, sich in ein von den «politischen»
Häftlingen formuliertes Widerstandsnarrativ einschreiben zu müssen.80
Daten zur Deportation der MSDP-Überlebenden
Die Angaben der Interviewten zu den Stationen ihrer Verfolgung und der jeweiligen
Dauer ihrer Inhaftierung gehören zu den wichtigsten der Datenbank, da diese Infor-
mationen nur partiell durch NS-Quellen zu erschließen sind. Der Verlust an Quellen-
material aus den verschiedensten Lagern, Gefängnissen oder Ghettos durch systemati-
sche oder kriegsbedingte Vernichtung macht es fast unmöglich, allein aus Täterquellen
die Verfolgungsgeschichte der Überlebenden zu rekonstruieren. Die Angaben in Oral-
History-Interviews zu diesen Deportationswegen sind deshalb besonders wertvoll,
auch wenn eine Überprüfung durch andere Quellen immer notwendig bleibt. Jene
Fälle von Interviewten, die nicht im Konzentrationslager Mauthausen waren, konnten
durch diesen Abgleich identifiziert werden.
80 Vgl. dazu K. Erik Franzen/Martin Schulze Wessel (Hg.) : Opfernarrative. Konkurrenzen und Deutungs-
kämpfe in Deutschland und im östlichen Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, München 2012 (Veröf-
fentlichungen des Collegium Carolinum, 126 ; Schriften des Europäischen Netzwerks Erinnerung und
Solidarität, 5), sowie Jean-Michel Chaumont : Die Konkurrenz der Opfer. Genozid, Identität und Aner-
kennung, Lüneburg 2001 [1997].
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Volume 1
- Title
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Volume
- 1
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Heinrich Berger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 426
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen