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136 | Andreas Kranebitter
Das Beispiel des «Schwarzbuchs» steht hier symptomatisch für den Versuch, mit
Hilfe von Zahlen, die auf der Basis zweifelhafter Quellen mittels zweifelhafter Me-
thoden zustande gekommen waren, Thesen stützen zu wollen, die so selbst höchst
anzweifelbar sind. Die Gleichsetzung von Zahlen mit «unwiderleglichen Fakten» be-
deutet nichts anderes, als Zahlen eine eigene Bedeutung zuzusprechen, die Thesen
und Theorien geradezu von selbst diktiere – «quantifizieren» heiße dann selbst schon
«begreifen», schrieb einer der Autoren des «Schwarzbuchs».5 Nicht strukturelle, insti-
tutionelle oder ideologische Ähnlichkeiten würden die Vergleichbarkeit von Kommu-
nismus und Nationalsozialismus nötig erscheinen lassen, sondern die bloße Zahl der
Opfer, die – in den Worten eines zustimmenden Rezensenten – bereits die Wahl des
Begriffs «Holocaust» für beide Fälle rechtfertige.6 Diese Bedeutungserhöhung sollte
darüber hinaus konkrete Zahlen über jeden Widerspruch erheben – eine diskursive
Strategie, die tatsächlich erreichte, dass die Kritik am «Schwarzbuch des Kommunis-
mus» nicht bei der Zurückweisung von Zahlen stehen blieb, sondern sich vielmehr in
einer fundamentalen Kritik fortsetzte, die es in Frage stellte, dass der Einsatz statis-
tischer Methoden überhaupt sinnvolle Ergebnisse liefern könne. Mit den konkreten
Zahlen verwarfen die Kritiker des «Schwarzbuchs» oft jede Form von quantitativer
Analyse als «Geschichtsforschung mit dem Taschenrechner».7 Damit akzeptierten sie
aber wiederum, dass die quantitativen Darstellungen im «Schwarzbuch» tatsächlich
eine Art «statistischer Erfassung»8 seien – um im nächsten Schritt letztlich jede Form
von statistischer Methode in Bausch und Bogen zu verwerfen. Konkrete «Berechnun-
gen» hatten also wieder einmal zur Diskreditierung eines ganzen methodologischen
Ansatzes gefĂĽhrt.
Der Einsatz quantitativer Methoden in der Geschichtswissenschaft ist nicht gleich-
bedeutend mit einer mystischen Produktion und manipulativen Verwendung von Zah-
len und kann, so soll im Folgenden argumentiert werden, auch in der KZ-Forschung
schungsergebnisse seiner eigenen Mitherausgeber ĂĽbertreibend zurĂĽckweisen, indem er deren eigene
Berechnungen wie im Fall der lateinamerikanischen Regimes kommentarlos verzehnfachte (vgl. Maurice
Lemoine : Kommunistische «Heimsuchungen» in Lateinamerika ?, in : Mecklenburg/Wippermann, Roter
Holocaust, S. 193–202, hier 195) und ohne zu zögern 85 Millionen auf diese Weise errechnete Opfer um
ganze 15 Millionen Menschen auf «rund» 100 Millionen aufrundete, sondern auch umgekehrt beispiels-
weise die Zahl der jĂĽdischen Opfer des Nationalsozialismus ohne weitere BegrĂĽndung auf 5,1Â Millionen
reduzieren (Courtois, Verbrechen, S. 27).
5 Jean-Louis Margolin : Kambodscha : Im Land der unfassbaren Verbrechen, in : Courtouis et al. (Hg.),
Schwarzbuch, S. 642–702, hier 653.
6 «Die Autoren […] machen eine erschreckende Bilanz auf – eine Bilanz, die sich an der Zahl der Opfer
orientiert, die allein durch ihre Zahl eine Wortwahl nahelegt, die der Ungeheuerlichkeit dieser Massen-
morde Rechnung trägt.» Horst Möller : Vorwort, in : ders. (Hg.), Holocaust, S. 11–17, hier 12.
7 Wolfgang Wippermann : «Rassen-Genozid» gleich «Klassen-Genozid» ?, in : Mecklenburg/Wippermann
(Hg.), «Roter Holocaust», S. 106–117, hier 109.
8 Bernhard Schmid/Wolfgang Wippermann : Das «Schwarzbuch» und seine Autoren, in : Mecklenburg/
Wippermann (Hg.), «Roter Holocaust», S. 11–24, hier 14.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Volume 1
- Title
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Volume
- 1
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Heinrich Berger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 426
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen