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164 | Dieter Pohl
In den 1970er Jahren wurde erstmals auch das Problem der Kollaboration in West-
und Nordeuropa analysiert, zunächst freilich nur auf oberster Ebene. Erst spät ist eine
Gesellschaftsgeschichte der Besatzung auf die Agenda gesetzt worden, die schlieĂźlich
auch die Zusammenarbeit mit den Besatzern im Alltag thematisierte.3
Gewalt und Verfolgungspraktiken im besetzten Europa wurden zwar immer zum
Gegenstand von Untersuchungen gemacht ; diese Studien blieben jedoch lange Zeit
von den allgemeinen Analysen zur Besatzung isoliert, sei es als Forschungen zu den
Untergrundbewegungen, zum Holocaust oder zur Vernichtungspolitik in der Sowjet-
union.4 Erst in den 1990er Jahren trat hier ein Wandel ein : Nun wurde Gewalt als
zentraler Teil der Besatzungspolitik, vor allem in Osteuropa, angesehen und in diesem
Kontext analysiert.5 Damit rĂĽckte auch die Ausbeutungspolitik, die von der kommu-
nistischen Historiografie schon früh thematisiert worden war, wieder stärker in den
Blick. Vor allem auf regionaler Ebene konnte der Zusammenhang von Besatzungs-
struktur, Personal, Vorgaben aus Berlin und Zusammenhang mit der allgemeinen Aus-
beutungs- und Umstrukturierungspolitik herausgearbeitet werden. Freilich bleiben
noch zahlreiche offene Fragen, so zu Herkunft, Zusammensetzung und Haltung des
allgemeinen Besatzungspersonals, zur Interaktion mit einheimischen Instanzen, zur
Zwangsarbeit im besetzten Gebiet oder etwa zu bestimmten Formen der Inhaftierung
wie etwa in Arbeitslagern oder Gefängnissen. Insbesondere die Erkenntnisse zu den
besetzten sowjetischen Gebieten sind – in dieser Perspektive – immer noch sehr be-
schränkt.
Besatzungsregime und Gewalt
Die durchaus nicht gewaltlose Machtübernahme in Österreich und der «Anschluss»
im März 1938 waren Voraussetzung und Vorspiel für die eigentliche Besatzungspolitik.
Die Besetzung der östlich des Deutschen Reichs gelegenen Länder und Territorien –
der Einfachheit halber kurz : OsteuropasÂ
– begann eigentlich mit der Annexion des Su-
3 Vgl. das Projekt Occupation in Europe : The Impact of National Socialist and Fascist Rule der European
Science Foundation (2000–2004), URL : http://archives.esf.org/coordinating-research/research-networ
king-programmes/humanities-hum/completed-rnp-programmes-in-humanities/occupation-in-europe-
the-impact-of-national-socialist-and-fascist-rule-insfo.html (19. 9. 2020), hier : Robert Gildea etÂ
al. (Hg.) :
Surviving Hitler and Mussolini. Daily Life in Occupied Europe, Oxford/New York 2006 (Occupation in
Europe. The Impact of National Socialist and Fascist Rule, 1).
4 Vgl. Mark Levene : The Crisis of Genocide. Vol. 2 : Annihilation. The European Rimlands 1939–1953,
Oxford 2013.
5 Vgl. insbesondere Christian Gerlach : Kalkulierte Morde. Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungs-
politik in Weißrussland, Hamburg 1999 ; ders.: Krieg, Ernährung, Völkermord. Forschungen zur deut-
schen Vernichtungspolitik im Zweiten Weltkrieg, Hamburg 1998 ; Christoph Dieckmann : Deutsche Be-
satzungspolitik in Litauen 1941–1944, 2 Bde., Göttingen 2011.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Volume 1
- Title
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Volume
- 1
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Heinrich Berger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 426
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen