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170 | Dieter Pohl
selbst beteiligt. Im Osten beschränkte sich die Beteiligung der Verwaltung nicht auf
Büroarbeit. Die Beamten verübten ihre Verbrechen sowohl am Schreibtisch als auch
am Deportationsbahnhof oder an der Erschießungsgrube.
Auch in der besetzten Sowjetunion übernahm zunächst die Militärverwaltung alle
Besatzungsaufgaben und agierte kaum anders als ihr ziviles Pendant, das später folgen
sollte. Das Spitzenpersonal der eigentlichen Militärverwaltung, das heißt die Sachbe-
arbeiter in den Stäben, entstammte ohnehin der deutschen Innenverwaltung. Zwar
überließen die Beamten auch hier die direkten Massenmorde an des Widerstands Ver-
dächtigen und an Juden weitgehend der Polizei, doch angesichts von deren schwacher
Personaldecke unterstützten die Militärs die Mordaktionen oder griffen auch oft selbst
zur Waffe. Bei den Gewaltaktionen im Rahmen der Partisanenkämpfe agierten die Mi-
litärs oftmals weitgehend selbständig.
Die Behörden des Reichsministers für die besetzten Ostgebiete unterschieden sich
in ihrer Tätigkeit nur wenig von der Besatzungsverwaltung in Polen. Auch sie richte-
ten Ghettos ein und verwalteten diese, sie drängten auf Mordaktionen vor allem an
den Juden und förderten diese Verbrechen nach Kräften. Im Falle der sowjetischen
Roma plädierte die Besatzungsverwaltung sogar frühzeitig für die totale Ausrottung
der Minderheit, während die Polizei dies noch auf nicht sesshafte Personen beschränkt
wissen wollte. Die Verwaltung konnte also durchaus radikaler auftreten als die Mord-
kommandos.
Nach der Ermordung der Juden und der Roma, die im Herbst 1943 in Osteuropa
weitgehend abgeschlossen war, nahm die Bedeutung der Besatzungsverwaltungen für
die Massenverbrechen ab. Nun setzte die Diskussion um den Verbleib des Eigentums
ein, das man den Opfern vor ihrer Ermordung abgenommen hatte. Eine Verschärfung
ist freilich bei der Tätigkeit der Sonderjustiz zu beobachten, die sich gegen andere Ein-
heimische richtete. Insgesamt lenkte man die Gewalt nun vor allem gegen die Bevöl-
kerung in Partisanengebieten, in denen exzessive Repressalien in Form von Massakern
verübt wurden. Innerhalb der Gebiete unter Zivilverwaltung trifft dies vor allem für
Gebiete in Weißrussland und der Nordukraine zu, weiter westlich auch für die polni-
schen Regionen um Kielce und Lublin.
Während im internen Diskurs des SS- und Polizeiapparates die Morde mit der ver-
meintlichen «rassischen» Minderwertigkeit der Opfer oder schlichtweg einer angebli-
chen Notwendigkeit zur «Lösung der Judenfrage» legitimiert werden sollte, kursierten
in den diversen Verwaltungen Legitimierungsstrategien, die direkt aus der allgemeinen
Politik übernommen wurden und auf den ersten Blick deutlich rationaler klangen. Ins-
besondere mit Blick auf die Juden wurde immer wieder betont, dass deren Verfolgung
etwa der Bekämpfung des Schwarzhandels oder etwa der Prävention von Seuchen diene.
In extremen Fällen wurde die künstliche Verknappung der Lebensmittel, die von der
Besatzungsmacht beschlagnahmt worden waren, dazu herangezogen, eine Beschleu-
nigung der Massenmorde zu fordern, damit angeblich «unnütze Esser» verschwinden.
Auch die echte oder vermeintliche Arbeitsunfähigkeit musste als Legi
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Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Volume 1
- Title
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Volume
- 1
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Heinrich Berger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 426
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen