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174 | Dieter Pohl
tent, bei Juden, Sinti und Roma besonders gering, da sie von Anfang an entrechtet
und aller Ressourcen beraubt waren, aber auch wegen ihrer Isolierung innerhalb der
Gesellschaften. Noch schwieriger war die Situation der sowjetischen Kriegsgefangenen,
die ja in Lagern isoliert ihre Existenz fristeten. Dennoch sind die Formen der Selbst-
behauptung und das AusmaĂź des Widerstandes aus diesen Gruppen beeindruckend,
die Beteiligung in Widerstandsorganisationen, die Aufstände in Ghettos und Lagern,
aber auch die individuellen Aktionen. In einer äußerst schwierigen Lage befanden sich
auch die Bewohner der Partisanengebiete in Osteuropa, denn sie wurden nicht nur
von der Besatzungsmacht und deren Helfern drangsaliert, sondern oft auch von den
Partisanen ausgeplĂĽndert, wenn nicht gar als echte oder vermeintliche Kollaborateure
umgebracht. Nicht selten gerieten die Einwohner zudem zwischen die Fronten verfein-
deter Partisanengruppen.16
Den stärksten Widerstand gegen die Vernichtungspolitik übten die Widerstands-
gruppen aus, freilich vor allem bezogen auf ihre jeweiligen politischen Gruppierun-
gen, Ethnien und Milieus. Gerade die Reaktion auf die Ermordung der europäischen
Juden fiel sehr unterschiedlich aus ; am stärksten wandten sich wohl linke oder links-
katholische Gruppen dagegen. Doch selbst die sowjetischen Partisanen berichteten
zwar ĂĽber die Massaker, hatten aber offensichtlich keinerlei zentrale Weisung, diese zu
sabotieren. Vielmehr lässt sich bis heute lediglich ein Befehl aus Moskau nachweisen,
die Deportation von Zwangsarbeitern zu verhindern. Immerhin scheinen regionale
PartisanenfĂĽhrer zugunsten von Juden aktiv geworden zu sein.17 Lediglich in Einzel-
fällen attackierten Partisanengruppen Transportwege in die Vernichtungslager oder
kleinere Arbeitslager. Innerhalb von Konzentrationslagern und Gefängnissen gelang
es politischen Gruppen, begrenzt einen Lagerwiderstand zu organisieren. Gerade die
polnische Heimatarmee, die zentrale polnische Untergrundorganisation, folgte lange
Zeit der Strategie, spektakuläre Widerstandsakte zu vermeiden, um die Bevölkerung
vor Repressalien zu schĂĽtzen. Mit dem Warschauer Aufstand 1944 wandelte sich diese
Einstellung jedoch.
Ăśber einen gewissen gesellschaftlichen Spielraum unter der Besatzung verfĂĽgten
auch die Kirchen, die in der Bevölkerung weiterhin als Leitinstanzen galten. Dabei ist
allerdings zu berĂĽcksichtigen, dass die Kleriker in der Sowjetunion vom Stalinismus
dezimiert worden waren und die katholische Kirche in Polen selbst unter massiven
Verfolgungen litt. Nicht nur die religiöse Situation unter deutscher Besatzung war kom-
plex, sondern auch die Reaktion der katholischen, aber auch der protestantischen und
orthodoxen Kirchen auf Verfolgungen. Traditionen des Antisemitismus, des Antikom-
16 Vgl. besonders Alexander Brakel : Unter Rotem Stern und Hakenkreuz : Baranowicze 1939–1944. Das
westliche Weißrussland unter sowjetischer und deutscher Besatzung, Paderborn et al. 2009 (Zeitalter
der Weltkriege, 5) ; Tomislav Dulić : Utopias of Nation. Local Mass Killing in Bosnia and Herzegovina,
1941–42, Uppsala 2005 (Studia historica Upsaliensia, 218).
17 Kenneth D. Slepyan : The Soviet Partisan Movement and the Holocaust, in : Holocaust & Genocide Stu-
dies 14.1 (2000), S. 1–27.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Volume 1
- Title
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Volume
- 1
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Heinrich Berger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 426
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen