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184 | Karin Orth
Die Lager der Jahre 1933/34, die in der Forschung inzwischen als «frühe Lager»
bezeichnet werden, unterschieden sich im Hinblick auf die institutionelle Trägerschaft,
die Organisationsstrukturen und die Verfolgungspraxis, zudem hinsichtlich der Ver-
folgtengruppen, der Haftbedingungen sowie der Zahl der Getöteten, die in den frühen
Lagern insgesamt einige Hundert betrug. Erst im Sommer 1934 begann die Vereinheit-
lichung, indem der Reichsführer der SS, Heinrich Himmler, die Verfügungsmacht über
die Lager erlangte. Die Phase bis 1936 ist durch die Auflösung bzw. Reorganisation der
bestehenden Lager gekennzeichnet, wobei Dachau, das frühe Lager der SS, als Modell
fungierte. Zudem schuf Himmler mit der «Inspektion der Konzentrationslager» (IKL)
eine zentrale Verwaltungsinstanz für alle KZ. An die Stelle der frühen Lager trat ab
1936 mit den Konzentrationslagern ein neuer Lagertypus.9 Nicht nur der gemeinsame
Entstehungszeitraum, das organisatorische Dach der IKL (seit 1942 Amtsgruppe
D des
SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes) sowie das Bestreben der SS-Führung, aus-
schließlich diese Lager als «Konzentrationslager» bezeichnet zu wissen, rechtfertigt
es, die genannten KZ von den bisherigen Lagern und Haftstätten abzugrenzen und
sie als Teil eines Systems zu begreifen. Das Charakteristische und qualitativ Neuar-
tige bestand in einer Reihe weiterer Faktoren : Alle Konzentrationslager waren nach
dem Vorbild des Dachauer Modells strukturiert und wiesen eine gleichartige innere
Verwaltungs- und Organisationsstruktur auf. Alle Häftlinge waren der gleichen «La-
gerordnung» unterworfen, die durch den Versuch charakterisiert ist, den Terror durch
Normierung zu systematisieren. Der Ausbau des KZ-Systems seit 1936 war zudem eng
verknüpft mit den Kriegsvorbereitungen, und auch sicherheitspolitische Aspekte spiel-
ten eine Rolle, etwa die Überlegungen, in den Grenzregionen des Deutschen Reichs,
aber auch in zentralen Regionen (etwa in der Nähe der Reichshauptstadt, in dem als
politisch besonders unsicher geltenden Thüringen usw.) ein KZ einzurichten, also ein
flächendeckendes Netz von allein der SS unterstehenden Haftstätten zu etablieren. Zu-
dem gelang es Himmler, die bewaffneten SS-Verbände zum «zweiten Waffenträger der
Nation» aufzubauen, und innerhalb der Lager-SS entstand eine Funktionselite von Ter-
rorexperten, die mit der Expansion des KZ-Systems führende Positionen in den neu
errichteten KZ übernahmen.10
Als weiterer und entscheidender Faktor ist der tiefgreifende Wandel der Verfolgung
anzuführen. Innerhalb der Gestapo-Führung hatte sich Mitte der 1930er Jahre das
Prinzip der «rassischen Generalprävention» durchgesetzt. Die Verhaftungswellen der
Jahre 1937 und 1938, die in erster Linie sogenannte «Asoziale» betrafen, zeigen, dass
das sozialrassistische und rassebiologische Gegnerkonzept auch Eingang in die Pra-
xis der Verfolgungsbehörden fand. Durch die Ausweitung der Definition derjenigen
9 Zu Geschichte und Struktur der KZ vgl. Karin Orth : Das System der nationalsozialistischen Konzentra-
tionslager. Eine politische Organisationsgeschichte, Hamburg 1999.
10 Karin Orth : Die Konzentrationslager-SS. Sozialstrukturelle Analysen und biographische Studien, Göt-
tingen 2000.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Volume 1
- Title
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Volume
- 1
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Heinrich Berger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 426
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen