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187Nationalsozialistische
Terrorstätten |
gern» zu vollstrecken. Die strukturelle Ähnlichkeit mit den Konzentrationslagern zeigt
sich zudem in drei weiteren Faktoren : Wie in den KZ (und auch den «Zigeunerla-
gern») ging die Haft erstens mit Zwangsarbeit einher. Zweitens war die innere Lageror-
ganisation ähnlich aufgebaut und drittens galten, zumindest phasenweise, die für die
KZ bestimmten Erlasse des SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes (WVHA) auch für
die «Jugendschutzlager». Im Falle von Uckermark war die enge Verzahnung besonders
deutlich : Das Lager wurde in unmittelbarer Nachbarschaft zum KZ Ravensbrück er-
richtet, das zeitweise auch Aufseherinnen und eine Wachkompanie stellte. Auch die
Lagerleiterin war dem Kommandanten des KZ Ravensbrück zugeordnet. Zudem zog
die SS die Jugendlichen zur Zwangsarbeit in der Schneiderei des KZ Ravensbrück he-
ran.
Mit dem Einschnitt des Kriegsbeginns erweiterte die IKL das KZ-System. In der
ersten Kriegshälfte wurden zahlreiche neue Konzentrationslager eingerichtet und die
Zahl der Gefangenen stieg rapide an. Unter ihnen befanden sich zahlreiche Männer,
die bereits früher inhaftiert gewesen waren (wie beispielsweise Mitglieder der Arbei-
terbewegung oder deutsche Juden, die nach ihrer Entlassung aus dem KZ 1938/39
nicht ausgewandert waren), aber auch erstmals inhaftierte Gruppen wie etwa Vorbe-
strafte, die man wegen «Arbeitsbummelei» aufgriff, Geistliche oder diejenigen, die ver-
dächtigt wurden, «Unruhe» in die Bevölkerung zu tragen. In erster Linie jedoch ist der
erhebliche Anstieg der Häftlingszahlen auf die Einlieferung von Bewohnern der durch
die Wehrmacht besiegten Staaten zurückzuführen. Die Verhaftungen in Westeuropa
richteten sich vorwiegend gegen Widerstandsgruppen und Saboteure, in Polen und in
der Sowjetunion wurden zum Teil auch wahllose Razzien und summarische Verhaf-
tungen durchgeführt, ganze Personengruppen zum «Arbeitseinsatz» in das Deutsche
Reich und in die KZ verschleppt. Eine wichtige Funktion für die Überstellung in das
Reich übernahmen die «Polizeihaftlager», die in den besetzten Gebieten errichtet wur-
den und den Befehlshabern der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (BdS)
unterstanden.15 Sie dienten zum einen als Sammel- und Durchgangslager für politi-
sche und andere (nichtjüdische) Gefangene und Geiseln, die von hier aus ins Deutsche
Reich und die Konzentrationslager verschleppt wurden. Die in den besetzten Ländern
West- und Nordeuropas gelegenen «Polizeihaftlager» fungierten zum Zweiten als Sam-
mellager für Juden vor der Deportation in den Osten.16
Bereits in der ersten Kriegshälfte stellten die nichtdeutschen Gefangenen
– zunächst
vor allem die Polen
– einen erheblichen Prozentsatz der Häftlingszwangsgesellschaft in
den Konzentrationslagern ; in einigen KZ bildeten sie bereits in der ersten Kriegshälfte
die Mehrzahl. Mit der zunehmenden Internationalisierung veränderte sich die Bin-
15 Vgl. Angelika Königseder : Polizeihaftlager, in : Benz/Distel (Hg.), Ort des Terrors, Bd. 9, S. 19–52.
16 Aufgrund der unterschiedlichen Funktionszuweisungen waren auch unterschiedliche Bezeichnungen
wie etwa Anhaltelager, Auffanglager, Sammellager, Durchgangslager, Judenauffanglager, Geisellager oder
Sicherungshaftlager gebräuchlich.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Volume 1
- Title
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Volume
- 1
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Heinrich Berger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 426
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen