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200 | Karin Orth
schen Juden, die in den deutschen Machtbereich gerieten, nicht nur in Ghettos isoliert
und konzentriert, sondern auch in groĂem Umfang direkt nach Einmarsch der Deut-
schen erschossen. Bereits wÀhrend des Polenfeldzuges ermordeten SS-Sondereinheiten
in groĂem Umfang Polen und vor allem polnische Juden. Auch die polnischen und
jĂŒdischen Psychiatriepatienten in den Reichsgauen Danzig-WestpreuĂen und Warthe-
land wurden â wie oben bei der Beschreibung der «Euthanasie»-Aktionen bereits er-
wĂ€hnt â 1939/40 Opfer unmittelbarer und gezielter Mordaktionen. Zudem kam es in
einigen Gebieten im Zusammenhang mit der Errichtung von Ghettos zu Massakern,
da die Verantwortlichen das GelÀnde möglichst klein halten wollten oder bestimmte
Personengruppen gezielt töteten : zunĂ€chst hĂ€ufig jĂŒdische MĂ€nner, die zur «Intelli-
genz» gerechnet wurden, seit Herbst 1941 zunehmend Menschen, die man nicht fĂŒr
arbeitsfÀhig hielt, also Alte, Kinder und zum Teil Frauen. Auch die Deportationen aus
dem Deutschen Reich bzw. dem Protektorat konnten gezielte Mordaktionen in den
Ghettos auslösen : Um Platz fĂŒr die hierher verschleppten Juden zu schaffen, wurden
die einheimischen Juden getötet.
Die Ghettos selbst, erstmals 1939 in Polen eingerichtet, trugen maĂgeblich zur Isolie-
rung der Juden von der Mehrheit der Einwohner bei. Die jĂŒdische Bevölkerung wurde
hier beraubt, ausgehungert und zum Teil ermordet. Die Ghettos unterschieden sich von
einem «Lager» erheblich â im Hinblick auf Organisation und rĂ€umliche Struktur, auf
die Zusammensetzung der dort festgehaltenen Menschen und die Alltagsbedingungen.
Sie unterstanden fast durchweg lokalen (militÀrischen oder zivilen) Besatzungsbehör-
den, die einzelne Wohnviertel innerhalb von StÀdten kurzerhand zu Ghettos deklarier-
ten. Diese waren nicht immer vollstĂ€ndig von der AuĂenwelt abgeriegelt, doch lebten
fast ausschlieĂlich Juden hier (sowie zum Teil die aus den «Zigeunerlagern» hierher
verschleppten Roma und Sinti). Die Lebensbedingungen in den Ghettos waren geprÀgt
von Armut, Hunger und Krankheiten, binnen kurzer Zeit herrschten katastrophale Zu-
stÀnde. Der Ghettoalltag selbst wurde nur zum Teil von der Besatzungsmacht geregelt,
die dies vielmehr an die «JudenrÀte» delegierte. Zwangsarbeit spielte zunÀchst keine
zentrale Rolle, erst allmÀhlich wurden Ghettobetriebe errichtet und die ArbeitsÀm-
ter rekrutierten mit Hilfe der JudenrĂ€te ArbeitskrĂ€fte fĂŒr Unternehmen auĂerhalb der
Ghettos. Auf diese Weise sollten Gelder fĂŒr den Unterhalt des Ghettos beschafft wer-
den. Dies kann am Beispiel des Warthegaus gut gezeigt werden. Hier hatte die generelle
Politik gegenĂŒber den Juden zunĂ€chst darauf gezielt, diese ins Generalgouvernement
abzuschieben und sie bis zu diesem Zeitpunkt im Ghetto Litzmannstadt/ĆĂłdĆș oder
in sogenannten Dorfghettos zu isolieren und zu konzentrieren.50 Als die Abschiebe-
plÀne im Sommer 1940 scheiterten, drohten die Ghettos zu langfristigeren und damit
kostenaufwĂ€ndigen HaftstĂ€tten zu werden, sodass Zwangsarbeit die Gelder fĂŒr ihren
50 Zur Judenverfolgung im Warthegau insgesamt vgl. Michael Alberti : Die Verfolgung und Vernichtung der
Juden im Reichsgau Wartheland 1939â1945, Wiesbaden 2006 (Deutsches Historisches Institut Warschau.
Quellen und Studien, 17), hier besonders S. 147â300.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Volume 1
- Title
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Volume
- 1
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Heinrich Berger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 426
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen