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205Nationalsozialistische
Terrorstätten |
bäude diente, und dem «Waldlager», wo die Getöteten in Massengräber geworfen wur-
den. Der Zeitraum des Massenmordes erstreckte sich zunächst vom 8. Dezember 1941
bis in den April 1943. Dann wurde die Gaswagenstation Kulmhof aufgelöst, um rund
ein Jahr später erneut für einige Monate in Betrieb genommen zu werden. Insgesamt
kamen in Kulmhof etwa 150.000 Menschen um, vorwiegend Juden aus der Umgebung
und die Insassen des Ghettos Litzmannstadt/Łódź (unter denen sich auch etwa 4400
Roma aus dem österreichischen Burgenland befanden).62
Die drei im Distrikt Lublin des Generalgouvernements errichteten Vernichtungsstät-
ten der «Aktion Reinhardt» Bełżec, Sobibór und Treblinka wurden nach einer längeren
Planungsphase im Frühjahr 1942 errichtet, um die in den Ghettos zusammengepferch-
ten Juden des Generalgouvernements zu ermorden.63 Sie unterstanden dem SS- und
Polizeiführer (SSPF) im Distrikt Lublin, Odilo Globocnik, und wurden von zusammen
rund einhundert Mordspezialisten aufgebaut und betrieben, die bis zum Stopp der «Er-
wachsenen-Euthanasie» im Spätsommer 1941 in der «Aktion T4» tätig gewesen waren.
Besonders zu erwähnen ist Christian Wirth,64 der 1940 zum Inspekteur aller «Eutha-
nasieanstalten» ernannt worden war und seit Weihnachten 1941 als Kommandant in
Bełżec Dienst tat. Anfang des Jahres 1942 führte Wirth verschiedene Tötungsexperi-
mente durch, zu denen er körperlich und geistig Behinderte und politische Gefangene
heranzog, und organisierte dann den Mitte März einsetzenden Massenmord. Im Au-
gust 1942 avancierte Wirth aufgrund seiner besonderen organisatorischen Fähigkeiten
zum «Inspekteur» der drei Vernichtungsstätten der «Aktion Reinhardt» (zudem zum
Kommandanten eines Außenlagers des KZ Majdanek). Auch alle anderen Lagerkom-
mandanten der drei Vernichtungsstätten und der Kern des Mordpersonals waren zuvor
in der «Aktion T4» tätig gewesen. Unterstützt wurden die pro Vernichtungsstätte je 25
bis 30 Mordexperten von jeweils rund 120 meist ukrainischen Wachmännern, die un-
ter sowjetischen Kriegsgefangenen rekrutiert und im SS-Schulungslager Trawniki, das
ebenfalls Globocnik unterstand, ausgebildet worden waren. Zunächst verrichteten sie
Wachdienst in Ghettos, Arbeitslagern oder Militärobjekten, ab Frühjahr 1942 in Bełżec,
Sobibór und Treblinka. Ihre Tätigkeit bestand dort im Wesentlichen darin, die Eskorte
bei den Deportationszügen zu stellen und die Vernichtungsstätten zu bewachen.
62 Rund 5000 Roma aus dem österreichischen Burgenland waren im November 1941 aus den dort beste-
henden «Zigeunerlagern» in das Ghetto Litzmannstadt/Łódź deportiert worden. Hier starben binnen
weniger Tage etwa 600 Menschen an Flecktyphus, die anderen wurden im Dezember 1941 und Jänner
1942 im Kulmhof getötet.
63 Einen Überblick über die jeweilige Geschichte geben : Robert Kuwalek : Bełżec, in : Benz/Distel (Hg.), Ort
des Terrors, Bd. 8, S. 331–371 ; Barbara Distel : Sobibór, in : ebd., S. 375–404 ; Wolfgang Benz : Treblinka,
in : ebd., S. 407–443. Vgl. nun auch Stephan Lehnstaedt : Der Kern des Holocaust. Betżec, Sobibór, Treb-
linka und die Aktion Reinhardt, München 2017.
64 Zu seiner Biografie vgl. Volker Rieß : Christian Wirth – der Inspekteur der Vernichtungslager, in : Klaus-
Michael Mallmann/Gerhard Paul (Hg.), Karrieren der Gewalt. Nationalsozialistische Täterbiographien,
Darmstadt 2004, S. 239–251.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Volume 1
- Title
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Volume
- 1
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Heinrich Berger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 426
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen