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209Nationalsozialistische
Terrorstätten |
– die «Judenhäuser», Ghettos und «Zwangsarbeitslager für Juden» für die Isolation
und Konzentration, Ausraubung und Ausbeutung der jüdischen Bevölkerung sowie
die Erschießungsplätze, zum Teil die Konzentrationslager, die Vernichtungsstätten
und die Vernichtungslager für den Genozid an den Juden (und an den Sinti und
Roma)
Eine wichtige Funktion als eine Art Drehscheibe übernahmen die allerorten unter ver-
schiedenen Bezeichnungen eingerichteten Sammel- und Durchgangslager, in denen
die Verfolgten meist nur kurzfristig gefangen gehalten wurden, um sie dann von hier
aus an den nächsten oder endgültigen Bestimmungsort zu deportieren. Der Überblick
zeigt auch, dass in der ersten Kriegshälfte die Übergänge zwischen den Verfolgungs-
maßnahmen zum Teil fließend waren, dass die Grenzen zwischen den Verfolgtengrup-
pen nicht eindeutig gezogen werden konnten. So hing es in Osteuropa oft von einem
Zufall ab, ob jemand, der bei einer Razzia gefangen genommen wurde, in ein Zwangs-
arbeiterlager geriet oder in ein Konzentrationslager verschleppt wurde. Die «Bestra-
fung» der Zwangsarbeiter konnte – ähnlich willkürlich – entweder in einem AEL oder
in einem Konzentrationslager erfolgen. Doch die Durchlässigkeit erstreckte sich nicht
auf alle Verfolgtengruppen. Die nationalsozialistische Politik gegenüber den sowjeti-
schen Kriegsgefangenen und gegenüber den Juden war 1941/42 vielmehr von einer
gnadenlosen Eindeutigkeit in der Identifikation des einzelnen Verfolgten wie auch im
Vernichtungswillen gegenüber der Gesamtgruppe gekennzeichnet. Die daraus resultie-
rende Vernichtungspolitik fand in den oben genannten Todeszahlen ihren Ausdruck.
Der Gesamtkomplex Auschwitz spielte in vielerlei Hinsicht eine besondere Rolle.
Er kann als nationalsozialistische Terrorstätte par excellence angesehen werden, da
nahezu alle der in diesem Beitrag erwähnten Formen der Ausbeutung, Verfolgung
und Vernichtung dort praktiziert wurden. Auschwitz diente als Lager für politische
Gefangene, als Konzentrationslager, als Kriegsgefangenenlager, als Erschießungsplatz,
war Stätte von Zwangsarbeit und von Tötungsexperimenten, und es wurde schließlich
zum zentralen Vernichtungslager, in dem die Ermordung der europäischen Juden in
den Gaskammern wie in einer Fabrik organisiert und betrieben wurde. In Auschwitz
starben politische Widerstandskämpfer, «Asoziale» und «Kriminelle», kranke und ge-
schwächte KZ-Häftlinge, Kinder und Jugendliche, Männer und Frauen, sowjetische
Kriegsgefangene und «russische Kommissare», Zwangsarbeiter, «Zigeuner», nichtjüdi-
sche Häftlinge und vor allem Juden aus nahezu allen europäischen Ländern. Etwa eine
Million der 1,2 Millionen Opfer von Auschwitz waren Juden.
Im Gegensatz zu den Gefängnissen und den Psychiatrieanstalten der «Euthanasie»
bestanden die hier beschriebenen Terrorstätten nicht vor 1933 und nicht nach 1945.
Sie waren vielmehr ein Spezifikum des Nationalsozialismus. Sie existierten nur wäh-
rend der NS-Zeit, die meisten sogar nur während des Krieges, und sie wurden lediglich
für die eine Funktion errichtet, nämlich die tatsächlichen oder vermeintlichen Gegner
des NS-Regimes von der «Volksgemeinschaft» abzusondern und hier in besonderer
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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book Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik, Volume 1"
Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Volume 1
- Title
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Volume
- 1
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Heinrich Berger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 426
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen