Page - 241 - in Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik, Volume 1
Image of the Page - 241 -
Text of the Page - 241 -
241Das
Konzentrationslager Mauthausen-Gusen 1938–1945 |
Die SteinbrĂĽche der DESt waren aber von Anfang an auch Orte des Terrors. Bestrebun-
gen, die Arbeit in den SteinbrĂĽchen etwa durch die Ausbildung von jugendlichen KZ-
Häftlingen zu Steinmetzen produktiver zu gestalten, wurden durch das systematische
Zugrunderichten und gezielte Morden von unzähligen KZ-Häftlingen genau an diesen
Orten durch die SS selbst unterlaufen.
Das Gros der kranken und nicht mehr arbeitsfähigen KZ-Häftlinge wurde im «Son-
derrevier» isoliert. Trotz Arbeitskräftemangel wurden dort kaum Anstrengungen un-
ternommen, sie durch medizinische Hilfe wieder fĂĽr den Arbeitseinsatz verfĂĽgbar zu
machen. Stattdessen wurden hier scheinbar «Unheilbare» von den «Heilbaren» segre-
giert und fĂĽr die Ermordung durch Giftgas in Hartheim oder im Gaswagen vorgese-
hen. Das «Sonderrevier» war – die Unterlassung medizinischer Hilfe vorausgesetzt –
ebenso Ort von Tötungshandlungen : durch Nahrungsentzug, indem Häftlinge beim
stundenlangen Appellstehen im Revierhof schutzlos der Witterung ausgesetzt wurden,
indem im Winter die Fensterflügel der Baracken abgehängt wurden, durch Misshand-
lungen durch SS-Angehörige wie Blockpersonal sowie durch Herzinjektionen. «Un-
heilbare» wurden auch stundenlang kalten Duschen ausgesetzt, oder sie wurden dem
Arbeitskommando für den Bau des «Kriegsgefangenen-Arbeitslagers» südwestlich
des Schutzhaftlagers zugeteilt, wo sie durch Arbeit zugrunde gerichtet oder «auf der
Flucht» erschossen wurden. Im Mai 1942 wurden nach Auflösung des Kriegsgefange-
nenlagers die Baracken 16 bis 19 dem zuvor in der Baracke 20 untergebrachten «Son-
derrevier» angegliedert. Wenige Wochen später wurden die Häftlinge des Blocks 16
zunächst durch Aushungern und dann durch immer verschärftere Formen der Gewalt
systematisch ermordet, bis am 14. Juli die überlebenden 200 Menschen «totgebadet»
wurden und schließlich am 25. Juli «nur noch ein Rest von 15 grässlich aussehenden
Haut- und Knochengerüsten»134 am Leben war. Im August wurde die Prozedur mit
den Häftlingen des Blocks 19, wo die Kranken nach dem Kriterium der Heilbarkeit
den Stuben A oder B zugeteilt wurden, wiederholt. Trotz ständiger Einweisung weite-
rer Kranker wurde die Zahl der Sonderrevier-Häftlinge immer mehr verringert. Von
November 1942 – nach Überstellung von 767 als heilbar eingestuften Häftlingen nach
Dachau – bis zur Verlegung in das zum «Sanitätslager» umfunktionierten Kriegsgefan-
genenlager am 14.Â
März 1943 bestand das «Sonderrevier» schließlich nur mehr aus der
Baracke 20.135
Im «Krankenrevier» hingegen wurde KZ-Häftlingen tatsächlich auch medizinische
Hilfe zuteil. Entsprechend dem Klassifikationssystem der Häftlinge wurden jedoch aus-
schließlich privilegierte Häftlinge für die Behandlung im Krankenrevier zugelassen. In
der ersten Kriegshälfte waren dies beinahe ausnahmslos deutsche und österreichische
Häftlinge gewesen, von denen vor allem als «kriminell» Kategorisierte die wichtigsten
Funktionen im System der Häftlingsselbstverwaltung eingenommen hatten.
134 Interview mit Milos Vitek, AMM, V/3/1.
135 Siehe Maršálek, Geschichte, S. 199–210.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
back to the
book Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik, Volume 1"
Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Volume 1
- Title
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Volume
- 1
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Heinrich Berger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 426
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen