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32 | Alexander von Plato
Reinhard Florian
Ostpreußen war die Heimat von Reinhard Florian, der dort 1924 in eine Sinti-Familie
geboren wurde.39 Sein Vater war ein relativ gut situierter Pferdehändler, seine Mutter
Hausfrau. Reinhard war das vierte von neun Kindern. Bis 1937 schien das Leben auch
für Sinti noch normal («wie bei den Deutschen auch»), aber dann folgten die «Schick-
salsschläge» mit wachsender lebensbedrohlicher Schärfe : Zunächst waren es Hitlerjun-
gen, die ihn verprügelten und demütigten, dann wurden die Kinder allesamt von der
Familie getrennt und auf verschiedene Dörfer verteilt. Der Verwalter und der Besitzer
eines großen Rittergutes, auf dem Reinhard Florian seit 1937 als Stalljunge arbeiten
musste, da ihm keine Ausbildung erlaubt wurde, beuteten ihn aus und schlugen ihn. Er
meint sogar, dass es den Sinti und Roma in der ersten Phase des Nationalsozialismus
schlechter ging als den Juden in Deutschland.
Nach Reinhard Florians Verhaftung durch die Gestapo in Insterburg (seit 1946 :
Černjachovsk) begann 1941 seine Odyssee durch zahlreiche Gefängnisse und Konzen-
trationslager. Mit einem Sammeltransport kam er schließlich im Dezember 1942 nach
Mauthausen und Gusen.40 Für ihn war Mauthausen mit dem Steinbruch das furcht-
barste KZ überhaupt, da dort in der «Todesarena» die total erschöpften Häftlinge von
SS-Männern mit Knüppeln geprügelt und häufig erschlagen wurden. Im Frühjahr 1943
nach Auschwitz überstellt, musste er Zwangsarbeit in den Außenlagern Monowitz und
im Kohlenbergbau in Charlottengrube (Rydułtowy) leisten.41
Mit einem Evakuierungstransport kam er schließlich im Jänner 1945 zurück nach
Mauthausen bzw. in die Außenlager Melk und Ebensee, wo er, der zum Schluss zum
empfindungslosen «Muselmanen» geworden war, am 6. Mai 1945 von den Amerikanern
befreit wurde.42 Überlebt habe er – so Florian selbst – wegen seiner geringen Körper-
größe (von ca. 1,58
m), die ihn mit der knappen Menge an Kalorien trotz der schweren
39 AMM, MSDP, OH/ZP1/221, Interview mit Reinhard Florian, Interviewerin : Alice von Plato, Aschaffen-
burg, 10. 6. 2002. Siehe auch : Reinhard Florian : Ich wollte nach Hause, nach Ostpreußen ! Das Überleben
eines deutschen Sinto, hg. v. Jana Mechelhoff-Herezi/Uwe Neumärker, 2., durchges. Aufl., Berlin 2013.
40 Seine Überstellung nach Mauthausen erfolgte im Zusammenhang mit der im September 1942 zwischen
dem Reichsjustizministerium und Himmler vereinbarten «Vernichtung durch Arbeit» der Gefängnisin-
sassen in den Konzentrationslagern. Siehe Nikolaus Wachsmann : Gefangen unter Hitler. Justizterror und
Strafvollzug im NS-Staat, München 22006, S. 309 ff.
41 In Florian, Ich wollte nach Hause, S. 43, erinnert er sich, in Auschwitz die Häftlingsnummer 113.667
erhalten zu haben. Nach Danuta Czech : Kalendarium der Ereignisse im Konzentrationslager Auschwitz-
Birkenau 1939–1945, Reinbek 22008 [1989], S. 464, wurde diese Nummer am 10. April 1943 vergeben. An
diesem Tag trafen in Auschwitz 464 SV- und BV-Häftlinge aus Mauthausen ein, die in den Buna-Werken
eingesetzt wurden.
42 Sein erster Aufenthalt in Mauthausen und Gusen ist im Nummernverzeichnis des KZ Mauthausen belegt,
sein zweiter durch mehrere Häftlingspersonalkarten in den Arolsen Archives, nach denen er am 25. Jän-
ner 1945 von Auschwitz kommend in Mauthausen mit der Nummer 117.709 als deutscher SV-Häftling
registriert wurde. Bereits am 29. Jänner wurde er in das Außenlager Melk verlegt. Doc. No. 1277618,
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Volume 2
- Title
- Deportiert nach Mauthausen
- Volume
- 2
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Melanie Dejnega
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 716
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen