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Melanie Dejnega
Von Weggabelungen und EinbahnstraĂźen
Narrative Stationen in den Erzählungen österreichischer
NS- Verfolgter ĂĽber ihren Weg nach Mauthausen
Am 12. März 1938 erfolgte der «Anschluss» Österreichs an das nationalsozialistische
Deutsche Reich. Mit der anschlieĂźenden administrativen, rechtlichen und kulturellen
Gleichschaltung wurde die Verfolgung politisch Andersdenkender und als «rassisch
minderwertig» definierter Personen auf die «Ostmark» ausgedehnt. Dies schlug sich
in entsprechenden Gesetzen, aber auch in der unmittelbaren Verfolgungspraxis nie-
der, und zwar hinsichtlich der Art und Weise, wie mit Regimegegnern und -gegne-
rinnen nach ihrer Verhaftung verfahren wurde (Folter, Konzentrationslagerhaft etc.).
Nachdem unmittelbar nach dem «Anschluss» bereits erste Vorbereitungen zur Errich-
tung eines Konzentrationslagers in der «Ostmark» getroffen worden waren, begann im
August 1938 der Bau des Konzentrationslagers Mauthausen.1
Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, was (männliche),2 zum Zeitpunkt
des Interviews in Ă–sterreich lebende Ăśberlebende dieses Konzentrationslagers ĂĽber ihr
Leben bis zur Deportation nach Mauthausen erzählen. Dabei gehe ich von der These
aus, dass der Inhalt dieser Erzählungen wesentlich durch die gesamtlebensgeschichtli-
che Sinnkonstruktion bestimmt wird.3 Um das Ziel einer konsistenten Selbstdarstellung
(des Erzählens dessen, wie man geworden ist) zu erreichen, werden dabei im Laufe der
1 Siehe hierzu den Beitrag von Christian Dürr und Ralf Lechner in Band 1 der vorliegenden Publikation
«Europa in Mauthausen». Waren bis dahin Verfolgte aus Österreich vor allem in das Konzentrationslager
Dachau deportiert worden, wurden nun in Dachau Inhaftierte zum Bau des KZ Mauthausen in die «Ost-
mark» geschickt. Die ursprünglich aus Österreich stammenden Deportierten wurden in Mauthausen
als Angehörige des Deutschen Reichs registriert. Eine umfassende Analyse, wie viele Österreicher und
Ă–sterreicherinnen im Lagerkomplex Mauthausen insgesamt inhaftiert gewesen sind, steht in der histori-
schen Forschung bis dato noch aus.
2 Ob die thematischen Stationen in den Lebensgeschichten von weiblichen Ăśberlebenden hinsichtlich in-
haltlicher Schwerpunktsetzungen jenen der Männer gleichen oder anders gelagert sind, müsste geson-
dert untersucht werden. Nach derzeitigem Forschungsstand ist jedoch davon auszugehen, dass Gender in
der Tat ausschlaggebend fĂĽr lebensgeschichtliche Schwerpunktsetzungen ist. So hat etwa Lutz Nietham-
mer die bisher unterschätzte Rolle von Gender für die lebensgeschichtliche Darstellung in Oral-History-
Interviews hervorgehoben. Siehe Lutz Niethammer : Oral History in der deutschen Zeitgeschichte. Lutz
Niethammer im Gespräch mit Veronika Settele und Paul Nolte, in : Geschichte und Gesellschaft 43.1
(2017), S. 110–145, hier 122–124.
3 Zur «impliziten Sinnstruktur» biografischer Erzählungen siehe Pierre Bourdieu : Die biographische
Illusion [1986], in : ders. (Hg.), Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns, Frankfurt a. M. 1998,
S. 75–83, hier 76.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Volume 2
- Title
- Deportiert nach Mauthausen
- Volume
- 2
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Melanie Dejnega
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 716
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen