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66 | Melanie Dejnega
Seine Familie stellt der Interviewte mehrmals und in unterschiedlichen Situationen
als «eingefleischte Wiener» dar. Neben seiner österreichischen Identität sei diese, die
Wiener, wesentlich für das Überleben der nationalsozialistischen Verfolgung gewesen.
Zum einen sei ihm und seinem Vater, die gemeinsam in Buchenwald und Auschwitz-
Monowitz waren, aufgrund der gemeinsamen Herkunft von Wienern geholfen worden,
genauso wie es, so Kleinmann, im Lager wichtig gewesen sei, seine «österreichische»
Herkunft zu betonen und sich so von anderen «Reichsdeutschen» abzugrenzen.
HA : «Ich mein, Sie haben jetzt immer sehr viel erzählt, dass die Wiener Gruppe oder die
Österreicher/ War das auch so ein Netz, wo man sich eher dann gegenseitig //ja// unterstützt
hat ?»
FK : «Ja, hast du schon. Die Landsleute, die Österreicher, wir haben betont unseren Dialekt,
damit man sieht, dass wir keine Piefke30 sind. //mhm// Das war schon sehr viel wert.»
HA : «Warum haben Sie das so betont, dass Sie keine Piefke sind ?»
FK : «Ja, wir nicht / dass wir keine Deutschen sind, dass wir / – wir haben uns ja /»
HA [unterbricht FK] : «Was hat das geheißen, dass man Deutscher ist ?»
FK : «Naja, also – – das hat so dazu gehört, dass du deinen Wiener Dialekt betonst. – Dass du
kein Piefke bist, net also.»31
Solidarität unter den österreichischen Häftlingen sei es letztlich auch gewesen, so
Kleinmann an anderer Stelle, die ihm und seinem Vater sowohl in Buchenwald als
auch in Auschwitz privilegierte Funktionen verschaffte und ihre Überlebenschancen
damit vehement verbesserte. «Jude» war für Kleinmann lediglich eine Kategorie, die
von außen, nämlich von den Nationalsozialisten an ihn herangetragen wurde : In seiner
Erzählung hat die Kategorie lediglich bis zu jenem Zeitpunkt Relevanz, an dem er als
«Jude» aus Mauthausen flüchtete und es ihm gelang, nach seiner erneuten Gefangen-
nahme als «Schutzhäftling Deutsches Reich» (also als deutscher politischer Häftling)
inhaftiert zu werden.
Abgesehen von der unmittelbaren Zeit der Verfolgung als Jude betont Fritz Klein-
mann seine gesamte Lebensgeschichte hindurch seine Identifikation als Österreicher.
Dies entspricht nicht nur (in etwa) jener Häftlingskategorie, die ihm das Überleben
möglich machte. Es entspricht auch dem erinnerungspolitischen Kanon der ersten
Nachkriegsjahrzehnte, dem zufolge Österreich (und seine Bevölkerung) das erste
«Opfer» des nationalsozialistischen Deutschlands war und das Verhalten von Österrei-
chern und Deutschen während des Nationalsozialismus folglich getrennt voneinander
zu beurteilen ist. Fritz Kleinmann konnte sich in der Nachkriegszeit damit nicht nur
antisemitischer Politik entziehen, sondern sich zudem als Opfer politischer Verfolgung
deklarieren und somit in der österreichischen Nachkriegsgesellschaft Anerkennung
30 Abwertende österreichische Bezeichnung für (Nord-)Deutsche.
31 AMM, MSDP, OH/ZP1/125, Interview Kleinmann.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Volume 2
- Title
- Deportiert nach Mauthausen
- Volume
- 2
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Melanie Dejnega
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 716
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen