Page - 70 - in Deportiert nach Mauthausen, Volume 2
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70 | Melanie Dejnega
Auch für Josef Hechenblaikner bedeutete die nationalsozialistische Machtüber-
nahme zunächst, dass er in der Ausübung seiner Religion erhebliche Einschränkungen
erfuhr. In seiner Erzählung schildert er, dass sich mit dem «Anschluss» die soziale
Diskriminierung der Zeugen Jehovas in seinem unmittelbaren Umfeld verstärkte. Ihr
sozialer Ausschluss aus der nationalsozialistischen «Volksgemeinschaft» führte aller-
dings laut Hechenblaikner nicht zur Abwendung vom Glauben, sondern bestärkte die
Zeugen Jehovas vielmehr in ihren Überzeugungen. Wie bereits erwähnt, berichtet der
Zeitzeuge im Interview, dass für ihn die Frage nach sozialer Gerechtigkeit ein wesent-
licher Beweggrund gewesen sei, sich sowohl bei den Nationalsozialisten als auch bei
den Zeugen Jehovas zu engagieren. Den Nationalsozialisten kehrte er allerdings später
auf Anraten seiner Glaubensgemeinschaft den Rücken. Dieses Motiv sprach er im In-
terview allerdings nur sehr zögerlich an.
JH : «Ich bin sogar auch so weit gegangen, dass ich Ding verbreitet habe, so Hakenkreuze
gestreut. Da sind wir, haben Hakenkreuze gehabt, sind wir durchs Dorf spazieren gegangen
und so weiter, und haben immer wieder was fallen lassen.»
AL : «Vor dem Anschluss war das schon ?»
JH : «Vor dem Anschluss, ja.»
AL : «Das war illegal ?»
JH : «Ja, ja. Oder auf dem Baum hinauf, einen Folie hinauf gehängt. Hat man auch gemacht.
Bis man erst dann einmal informiert ist worden, wo das eigentlich alles hinführt, dass das
sagen wir für einen Christen nicht zulässig ist, dass man solche Sachen macht. Nur hat man
das nicht direkt abgestraft.»
AL : «Darf ich kurz einmal fragen, nur damit ich es auseinanderhalte. Sie waren also schon vor
der Nazi-Zeit sozusagen für die Nazis und haben so Sachen gemacht ?»
JH : «Ja.»
AL : «War das parallel, waren Sie da schon Zeuge Jehovas, oder war das vor der Zeit, wo sie
Zeuge Jehovas waren ?»
JH : «Da war ich schon. Aber habe das halt noch nicht so kapiert und so weiter. Mehr oder
weniger unwissend haben wir das gemacht. Bis nachher gesagt ist einmal worden, was sich
da eigentlich abspielt.»
AL : «Das war aber dann bei den Zeugen Jehovas, nehme ich an ?»
JH : «Ja, ja.»
AL : «Wo die gesagt haben, das dürfen Sie nicht machen ?»
JH : «Ja, ja. Und das ist nachher gekommen, dass man eben nicht zur Musterung gegangen
ist.»36
Interessant an dieser Stelle im Interview mit dem ehemaligen Zeugen Jehovas ist, dass
er zwar in seiner Erzählung von den Aktivitäten bei der illegalen NSDAP aus einer Ich-
36 AMM, MSDP, OH/ZP1/363, Interview Hechenblaikner.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Volume 2
- Title
- Deportiert nach Mauthausen
- Volume
- 2
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Melanie Dejnega
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 716
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen