Page - 72 - in Deportiert nach Mauthausen, Volume 2
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72 | Melanie Dejnega
stellte. Dabei stellte die Verhaftung selbst keineswegs einen Höhepunkt im Interview
dar ; vielmehr beinhaltet die Erzählung eindringliche Schilderungen unterschiedlicher
Hafterfahrungen : vom (wie er es nennt) «fidelen» Gefängnis in der Wiener Hermann-
gasse über die Isolationshaft im slowakischen Gefängnis Leopoldov bis hin zur Depor-
tation nach Mauthausen und in die AuĂźenlager Amstetten und Ebensee, wo in der
Schilderung Redlingers die schrecklichsten Haftbedingungen geherrscht haben.
LR : «Am besten war das Essen in der Hermanngasse. Da konnten wir uns selber auch was
kaufen dazu. Von der KĂĽche, von/ das war die KĂĽche von der Polizei. Die haben dasselbige, da
haben sie sich das extra gekauft. Am schlechtesten war es auf der Rossauer Lände. – Im 34er
Jahr. Da war eine sehr schlechte Verpflegung. Das Essen war nichts Besonderes. [3Â
Sek. Pause]»
KA : «/ Mhm / [3 Sek. Pause]»
LR : «Nein, es war schon/ Leopoldov war das. Und das Schrecklichste war dann das KZ natür-
lich, nicht. Und Ebensee – überhaupt, nicht. Auch in Amstetten die Zeit.»38
Redlinger war seit 1934 immer wieder in politischer Haft. Hafterfahrungen und die
unterschiedlichen Umstände der Haft prägten seinen Lebensweg als Jugendlicher vor
und während des Krieges. Sie stehen dabei nicht in unmittelbarem Zusammenhang
mit der Verfolgung durch die Nationalsozialisten, sondern begannen bereits während
des DollfuĂź-Schuschnigg-Regimes, setzten sich dann unter dem mit dem Deutschen
Reich kollaborierenden Tiso-Regime in der Slowakei fort und endeten schlieĂźlich in
nationalsozialistischen Konzentrationslagern. Weder Verhaftungen noch die Deporta-
tion werden in seiner Lebensgeschichte als BrĂĽche oder Wendepunkte dargestellt, viel-
mehr sind sie ein kontinuierlicher Bestandteil in der Erzählung von seiner Jugend. Der
Bruch, der in der Schilderung stattfindet, ist an einem weitaus frĂĽheren Zeitpunkt an-
gesiedelt, nämlich als sich Redlinger als JugendlicherÂ
– von seiner Mutter vor die Wahl
gestellt – für die Arbeit im kommunistischen Untergrund und gegen seine (jüdische)
Familie entschied. Redlingers Geschichte von Verhaftung und Haft ist keineswegs von
einem heroischen Widerstandsmotiv durchzogen, vielmehr stehen Erzählungen von
Leid und Misshandlung (vor allem in Leopoldov und Ebensee) im Vordergrund. Diese
scheinen nahezu entkontextualisiert und sinnentleert – vor allem hinsichtlich dessen,
dass Redlinger 1968 aus der Kommunistischen Partei vollkommen desillusioniert aus-
trat und auch die Sinnhaftigkeit seiner gesamten Tätigkeit im Widerstand und die da-
raus folgenden Konsequenzen in Frage stellte :
«Für uns war ja die Partei auch eine Religion, wir haben auch nur geglaubt, die werden uns/
Das war furchtbar, was die mit uns aufgefĂĽhrt haben. Die haben uns ja regelrecht verraten
und verkauft. – Nicht. [2 Sek. Pause] Haben uns in den Tod geschickt. Zum Beispiel der Hit-
ler-Stalin-Pakt, das war doch schon = haben wir auch nicht glauben wollen. Na ja, das ist / =
38 AMM, MSDP, OH/ZP1/143, Interview Redlinger.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Volume 2
- Title
- Deportiert nach Mauthausen
- Volume
- 2
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Melanie Dejnega
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 716
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen