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73Von
Weggabelungen und EinbahnstraĂźen |
Haben viele nicht glauben wollen. Aber das war schon [5Â Sek. Pause], wie soll ich sagen, das
war einer der Höhepunkte des Verrates, nicht.»39
Wie bereits erwähnt, formuliert Redlinger, dem Leitmotiv der politischen Enttäuschung
folgend, auch dann keine Heldenerzählung, als er im Interview auf seine Jugend und
sein politisches Engagement zu sprechen kommt. Zu stark war wohl nach dem Ungarn-
aufstand, dem Prager FrĂĽhling und dem Zusammenbruch der kommunistischen Re-
gime in Osteuropa das Gefühl gewesen, von jenen, für die man gekämpft hatte, verra-
ten worden zu sein.
Aber auch Hermann Lein erzählt seinen Weg in die Illegalität und seine Verfolgung
keineswegs als Heldengeschichte. Vielmehr kommentiert er seine Handlungen im
Rahmen von Widerstand und Verfolgung im Interview durchwegs als «Dinge, wo ich
mir heute auf den Kopf greif» oder Ähnliches. Der Katholik beschreibt seine wider-
ständige Haltung keineswegs als bewussten Akt, sondern vielmehr als ein Resultat na-
iven, unbewussten Handelns. Von seiner Verhaftung nach dem «Rosenkranzfest» am
7. Oktober 1938 berichtet er Folgendes :
«Da hat dieser, äh, ein NSler hat uns also zur, zur Polizei. Und die Polizei hat etwas mitleidig
gelächelt und haben mich weiter in die Elisabethpromenade geschickt, nicht. Und da bin ich
eigentlich sehr lange, ich bin immerhin zwei Monate dort gewesen. Und dann eines Tages
wurde ich auch zum Verhör gebracht, ned. Aber ich war damals von meiner Sache so über-
zeugt, dass ich also mit der Gestapo geschimpft habe. Wie schlecht sie die Kirche behandeln.
[lacht] Also es war ein offenes Geständnis für sie.»40
Indem er sich als beinahe ungeschickten, zumindest aber von der Polizei nicht ernst
genommenen Achtzehnjährigen beschreibt, distanziert sich Hermann Lein in der Er-
zählung von seinem widerständigen Verhalten und weist somit jegliche Verantwortung
dafür zurück. In der Verhaftungserzählung Leins kulminiert sozusagen die Betonung
seiner Unschuld fĂĽr sein politisches Engagement gegen den Nationalsozialismus.
Beide «Widerstandskämpfer», sowohl der Kommunist Redlinger als auch der Ka-
tholik Lein, bieten – wenn auch aus sehr unterschiedlichen Gründen – keine helden-
hafte Schilderung ihres widerständigen Verhaltens. Vielmehr reflektieren sie rückbli-
ckend die unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten, die es ihnen zufolge damals
gegeben hat.
Anders verhält sich das in der Erzählung Josef Hechenblaikners : Der ehemalige
Zeuge Jehovas schildert im Interview, dass er sich bewusst dafĂĽr entschieden hatte, an
seinen Glaubensgrundsätzen festzuhalten, den Dienst an der Waffe zu verweigern und
sich somit der Verfolgung durch nationalsozialistische Instanzen auszusetzen. Auf die
39 Ebd.
40 AMM, MSDP, OH/ZP1/003, Interview Lein.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Volume 2
- Title
- Deportiert nach Mauthausen
- Volume
- 2
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Melanie Dejnega
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 716
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen