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82 | Peter Hallama
nicht nur aus unterschiedlichen sozialen und politischen Milieus, waren aktive Wider-
standskämpfer und Intellektuelle, Studenten und Geistliche, Kommunisten und Kon-
servative. Nein, sie hatten darüber hinaus verschiedene nationale und religiöse Her-
künfte, waren Tschechen und Slowaken, Deutsche und Juden, Polen, Ruthenen und
Ungarn. Und : Durch die Zerschlagung der Tschechoslowakei zwischen September
1938 und März 1939 konnten «tschechische» Häftlinge aus unterschiedlichen staat-
lichen Entitäten ins Konzentrationslager Mauthausen eingeliefert werden : aus dem
Deutschen Reich, dem «Protektorat Böhmen und Mähren», dem slowakischen Vasal-
lenstaat und aus Ungarn.3
Mit Blick auf die «tschechischen» Wege nach Mauthausen soll hier daher der Ver-
such unternommen werden, nicht allein den Spuren der Häftlinge aus dem Protekto-
rat Böhmen und Mähren zu folgen, nicht nur die Häftlinge zu berücksichtigen, die in
Mauthausen als «Tschechen» gekennzeichnet wurden, sondern alle vor 1938 tschecho-
slowakischen Gebiete gemeinsam zu betrachten und den Wegen von deutschen, jüdi-
schen, polnischen, ruthenischen und tschechischen Häftlingen ins Konzentrations-
lager Mauthausen nachzugehen.4 Dabei soll eine biografische Collage entstehen, die
der nationalen, religiösen und politischen Vielfalt der Ersten Tschechoslowakischen
Republik Rechnung trägt und möglichst unterschiedliche Wege nach Mauthausen ein-
schließt. Somit sollen auch die Diversität und Unterschiedlichkeit der «Tschechen» in
Mauthausen betont und die Wege kommunistischer Widerstandskämpfer, die bereits
1941 ins Lager kamen, ebenso beschrieben werden wie die von ruthenischen Juden, die
erst 1944 deportiert wurden und gegen Kriegsende nach Mauthausen gelangten, oder
die Ankunft von «sudetendeutschen» SS-Angehörigen im Lagerkomplex.5
Diese unterschiedlichen Erfahrungen prägten schließlich auch die Wahrnehmung
von Mauthausen nach 1945. Während für manche Mauthausen einen zentralen Ort
des heroischen Leidenswegs der tschechischen Nation im Kampf gegen den National-
sozialismus darstellte, markierte es für andere den Höhepunkt von Elend, Hunger und
Kraftlosigkeit und damit das Ende umfangreicher politischer wie humanistischer Ide-
ale und Illusionen.
sprechend, Tschechen und Slowaken meist nicht separat aufgelistet, sondern als Tschechoslowaken oder
tschechoslowakische Bürger gemeinsam gerechnet.
3 Da dieser Beitrag die Wege ins KZ Mauthausen behandelt, gehe ich hier nicht auf die Bedingungen im
Konzentrationslager und die Unterschiede in der Behandlung einst tschechoslowakischer Bürger ein, wie
sie etwa zwischen sudetendeutschen, tschechischen und tschechisch-jüdischen Häftlingen bestanden.
4 Nachdem den slowakischen Häftlingen ein eigenes Kapitel gewidmet ist, finden diese hier nicht weiter
Berücksichtigung. Siehe dazu den Beitrag von Hana Kubátová im vorliegenden Band.
5 Diese Zielsetzung machte es notwendig, zusätzlich zu den im Rahmen des Mauthausen Survivors Do-
cumentation Project (MSDP) geführten Interviews weitere Quellen heranzuziehen, und zwar in erster
Linie publizierte Erinnerungen ehemaliger Mauthausen-Häftlinge sowie biografische Beiträge über diese.
Die für das MSDP realisierten Gespräche mit in der Tschechoslowakei geborenen Überlebenden des KZ
Mauthausen wurden in ihrer überwiegenden Mehrheit mit jüdischen Häftlingen geführt, die erst gegen
Kriegsende nach Mauthausen deportiert worden waren.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Volume 2
- Title
- Deportiert nach Mauthausen
- Volume
- 2
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Melanie Dejnega
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 716
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen