Page - 131 - in Deportiert nach Mauthausen, Volume 2
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131Biografische
Hintergründe und präkonzentrationäre Identitäten von polnischen Deportierten |
ein alter Kommunist, wir sollten daran denken, dass wir in das schwerste Lager fahren wĂĽr-
den, wo wirklich sehr große Anstrengungen nötig seien, um zu überleben. Aber er zitierte für
uns auch aus Shakespeare, dass wir daran glauben sollten, dass es keine Nacht gäbe, nach der
nicht wieder die Sonne scheinen werde. Auch uns werde sie wieder scheinen.»39
Sind sie tatsächlich mit so viel Optimismus nach Gusen gefahren ? Oder hat die Erin-
nerung dieses «literarische» Bild gezeichnet, da es eine Metapher lieferte, die gewisser-
maĂźen den Sinn oder eher die Sinnlosigkeit der fĂĽnf Jahre dauernden Haft in diesem
Lager erklärte und das unlösbare Rätsel der Errettung in den Hintergrund schob ? Aus
dieser Gruppe haben doch nur wenige ĂĽberlebt. Und manche der Ăśberlebenden haben
eine literarische Erzählung über ihre Lagererlebnisse konstruiert.
Die Wege der Untergrundkämpfer
Anders waren die Erzählungen über die Zeit vor dem Lager und ihre Wege dorthin
bei jenen Überlebenden, die im Lauf des Kriegs ins KZ – vor allem nach Mauthau-
sen – zur Strafe geschickt wurden. Ihr «Verbrechen» war meistens die Betätigung im
Widerstand, die sehr unterschiedlich sein konnte. Auch ein bloĂźer Verdacht brachte
viele ins Lager. In diese Kategorie fallen ebenfalls Zwangsarbeiter, die geflohen waren
oder sich ein «Vergehen» hatten zuschulden kommen lassen. Darüber wird noch später
die Rede sein.
Unter den in Polen aufgezeichneten Interviews überwiegen die Erzählungen von Un-
tergrundkämpfern, sie unterscheiden sich aber auch am meisten voneinander. Anders
als bei den Erzählungen der Intelligenzgruppe oder der Warschauer Gruppe fällt es hier
nicht leicht aufzuzeigen, was fĂĽr diese Berichte charakteristisch ist und was sie gemein-
sam haben. Besonders schwer ist es, Gemeinsamkeiten im Vorkriegsleben zu finden.
Obwohl viele Schicksale in dieser Gruppe nicht anders waren als die zuvor beschriebe-
nen Lebensläufe der Intelligenz (was aber eigentlich nur die Anfänge dieser Lebensläufe
betrifft, da hier von den jüngeren, meist nach 1920 geborenen Gesprächspartnern die
Rede ist, die bei Kriegsausbruch Teenager waren), gab es unter den Untergrundkämp-
fern ebenso Vertreter anderer Sozialschichten. Unterschiedlich sind vor allem ihre Er-
lebnisse während des Kriegs und der Besatzung – und besonders jene im Untergrund.
Die Berichte über diesen Lebensabschnitt sind für gewöhnlich dicht, detailreich, aus-
drucksstark. Sie gleichen meist einem Kriegsepos – aktionsreich, voller Abenteuer und
ĂĽberraschender Wendungen. Das unten zitierte Fragment zeigt, wie bewusst und refle-
xiv die Erzähler ihrer autobiografischen (Re-)Konstruktion gegenüberstehen.
39 Ebd.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Volume 2
- Title
- Deportiert nach Mauthausen
- Volume
- 2
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Melanie Dejnega
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 716
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen