Page - 140 - in Deportiert nach Mauthausen, Volume 2
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140 | Piotr Filipkowski
gamme, das war ein neues Lager bei Hamburg, das ich dort drei Monate mitgebaut habe. Ich
weiĂ noch, wir haben die Elbe gebaut, den Elbekanal, nach drei Monaten brachten sie mich von
dort nach Mauthausen. In Mauthausen war ich bis zum Schluss, bis 1945.»50
Das ist keine zusammenhÀngende ErzÀhlung, es gibt nur Bildfragmente aus der au-
tobiografischen Erinnerung, die in Zeit und Raum nicht prÀzise zugeordnet sind. An
solchen Berichten sieht man am besten, wie abhÀngig individuelle Schicksale von so-
zialen UmstÀnden sind, um nicht zu sagen von strukturellen Determinanten. Auch
die Fortsetzung so begonnener Lebensberichte ist sehr Àhnlich, hat viele gemeinsame
Nenner. Sie unterscheiden sich stark von den Schilderungen jener Zeitzeugen, die
einen Sinn ihrer Lagerhaft darin sehen können, dass sie wegen ihrer UntergrundtÀtig-
keit, ihres Kampfes oder der Zugehörigkeit zur Intelligenz ins Lager gerieten. In den
bÀuerlichen, dörflichen ErzÀhlungen wird der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs meis-
tens als eine weitere Etappe der biografischen Verlaufskurve betrachtet. Hier ist kaum
von Polen, der Heimat, der Verteidigung, dem patriotischen Kampf die Rede, sondern
von einem anderen, einem privaten, nicht weniger dramatischen Kampf : ums Ăber-
dauern, um das biologische Ăberleben. Der breitere historische Kontext wird auf eine
individuelle, allenfalls lokale Erfahrung reduziert. FĂŒr die Mauthausen-Ăberlebenden
aus den östlichen Regionen Polens brachte die lokale Erfahrung zwei aufeinander
folgende Besatzungen, die sowjetische und die deutsche, fĂŒr jene aus Zentralpolen
hingegen «nur» die deutsche, auf jeden Fall aber eine FreiheitseinschrÀnkung, Ver-
schlechterung der LebensumstĂ€nde, Arbeitszwang, Angst und schlieĂlich unmittel-
bare Repressalien. Die Ăberlebenden dieser Gruppe wurden meistens zur Zwangsar-
beit verbracht.
Hier taucht ein wesentliches Element dieser «dörflichen» Besatzungsschicksale auf.
Einerseits war die Zwangsarbeit im Deutschen Reich durch deutsche Besatzungsvor-
schriften erzwungen (Zwangsarbeiterkontingente), andererseits war sie scheinbar frei-
willig. Eine Familie konnte manchmal selbst entscheiden, welches Familienmitglied
zur Zwangsarbeit geschickt wurde. Warum scheinbar freiwillig ? Diese Freiwilligkeit
war rein formal â der Rechtszwang wurde einfach durch einen wirtschaftlichen, um
nicht zu sagen existenziellen Zwang ersetzt. Dieser Zwang war fĂŒr die Familien viel-
leicht dramatischer und schwerer zu ertragen, da abgewogen und dann entschieden
werden musste, welches Kind bleibt und welches Kind geht. FĂŒr die, die gehen mussten,
war das eine Reise ins Ungewisse, wie im Fall von Stefan Puc :
«Wir waren zwei Söhne, der Àltere 1923 geboren, mein Bruder, und ich, Jahrgang 1925. Na
und dann. Der Vater sagte : âčEinen von euch. Die Deutschen haben gesagt, du musst einen
hergeben, fĂŒr diesen Zwang, fĂŒr die Zwangsarbeit dort.âș Ich sage / na ja, ich war erst 17Â
Jahre
50 AMM, MSDP, OH/ZP1/071, Interview mit Sylwin JĂłĆșwiak, Interviewer : Piotr Filipkowski, GdaĆsk, 23. 6.
2002.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Volume 2
- Title
- Deportiert nach Mauthausen
- Volume
- 2
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Melanie Dejnega
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 716
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen