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170 | Mercedes Vilanova
Aber es gab auch Gegenbeispiele : Einige Ältere versuchten zu vermeiden, nach ihrem
Jahrgang einberufen zu werden. Vielleicht ist es Zufall, aber unter den Interviewten,
die um 1910 geboren sind, haben drei im Sommer 1936 geheiratet, als es offensicht-
lich war, dass der Bürgerkrieg lang dauern würde : «Da wir sahen, dass sich das in
die Länge ziehen würde, haben wir am 31. August 1936 geheiratet.» Einer von ihnen,
Josep Simon Mill, hat einfach geschwindelt ; obwohl er zwei Zentimeter größer war als
notwendig, um für wehrdiensttauglich erklärt zu werden, schaffte er es ganze drei Mal,
sich zu drücken. «Ich war klein, ich maß 1,59 Meter, und das hat mich gerettet. Man
musste mindestens 1,57 groß sein.» Zufrieden stellt er fest :
«Ich war keinen einzigen Tag lang im Krieg. Ich hatte eine Wohnung gemietet, und ich betrieb
eine Kurzwarenhandlung, Stoffe, fertige Hemden. Wir arbeiteten zu zweit, meine Frau und
ich, in der Werkstatt und im GeschäftÂ
… Bis sie von allen verlangenÂ
– bis sie verlangten, dass
wir am nächsten Morgen gehen sollten. Sie haben mich im letzten Moment einberufen. Eines
Tages, um zehn Uhr abends, mussten alle antreten, drei- oder viertausend, wir gingen nach
Frankreich, aber wir wussten das nicht.»57
Hat man sich dem Rückzug der Republikanischen Armee angeschlossen, um mög-
lichen Repressalien bei der Ankunft der Nationalisten zu entgehen … ? Eine bemer-
kenswerte Ausnahme ist Emiliano Pérez Dorado, ein Aktivist der Kommunistischen
Partei, der 1911 geboren wurde, seinen Militärdienst in Afrika leistete, zu Beginn des
BĂĽrgerkrieges freiwillig zur Republikanischen Armee ging und unter Franco inhaftiert
wurde ; Pérez Dorado wurde den franquistischen Truppen eingegliedert, desertierte
und schloss sich erneut der Republikanischen Armee an.
Flucht, Internierung, Deportation
Der Vergleich zwischen den extremsten Polen, den Geburtsjahrgängen 1910 und 1923,
zeigt die sehr groĂźen emotionalen Unterschiede hinsichtlich der Art und Weise, wie sie
sich dem Weg stellten, der sie in die Deportation fĂĽhren sollte.
Am Ende des BĂĽrgerkrieges konnte man mit sechzehn Jahren noch nicht der Repu-
blikanischen Armee angehört haben, und die persönlichen Entscheidungen sind eng
verstrickt mit jenen der Familienangehörigen ; man kann beinahe sagen, dass es die
Eltern waren, die jeweils die Entscheidung trafen. Denn es flohen beim RĂĽckzug nicht
nur die Offiziere und die Soldaten, ganze republikanische Familien ĂĽberquerten die
Pyrenäen mit ihren Verwundeten auf dem Rücken, unternahmen eine Odyssee, die sie
sogar gemeinsam nach Mauthausen fĂĽhrte, nur um, einmal dort angekommen, von
ihren Ehefrauen, MĂĽttern und kleineren Geschwistern getrennt zu werden und um
wenig später Väter und Brüder im Lager sterben zu sehen : Ist das vielleicht das größte
57 AMM, MSDP, OH/ZP1/176, Interview Simon Mill.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Volume 2
- Title
- Deportiert nach Mauthausen
- Volume
- 2
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Melanie Dejnega
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 716
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen