Page - 171 - in Deportiert nach Mauthausen, Volume 2
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171Erlebnisse
spanischer Republikaner auf dem Weg nach Mauthausen |
Elend, das die Interviewten in unserer Zusammenstellung erlebt haben ? Die Jugendli-
chen trugen buchstäblich die Verwundeten und sogar ihre Väter. Jacinto Cortés García
schildert es so :
«Mein Bruder wurde am Ebro verwundet, sie haben ihm das Bein abgeschnitten und ihn
nach Figueras gebracht, und meine Mutter sagte : Wir müssen unser Möglichstes tun, um
nach Figueras zu gelangen. Am 25. Jänner 1939 verließen wir El Prat del Llobregat, am 26.
waren wir in Barcelona, und wir trieben einen Handwagen auf, wir legten vor allem eine
Matratze darauf, damit mein Bruder darauf liegen könnte. Wir gingen zu Fuß bis zum Fluss
Besós. Da brachten sie ihn nach Castellón de Ampurias, und mein Bruder sagte : ‹Kannst du
mich auf dem Rücken tragen ?› ‹Natürlich, ja›, antwortete ich ihm. Von dort aus ging es also
weiter, nach Frankreich, bis direkt zur Grenze, dort organisierten sie einen Zug, und meine
Mutter und alle stiegen in den Zug, es war der 9. Februar. Und wir kamen nach Angoulême.
Eines Tages setzen sie das falsche Gerücht in Umlauf, dass sie uns vom Lager in die freie
Zone brächten. Damals war mein Vater im Lazarett, und ich sagte : ‹Von hier geht niemand
weg, solange mein Vater nicht bei uns ist.› Ich hatte die Verwegenheit, eine Ambulanz zu
holen, stell dir vor. Wir holten meinen Bruder, der in Albi war, und er kam mit uns. Gegen
halb zwölf oder zwölf verfrachteten sie uns in einen Güterzug. Wir wussten nicht, wohin
wir fuhren. Bis wir am 24. August 1940 an einem Ort ankamen, den wir nicht kannten :
Mauthausen.»58
Die Erfahrung jener Spanier, die 1939/40 bereits um die dreißig Jahre alt waren, unter-
scheidet sich von jener der Gruppen von Jugendlichen, die mit ihren Eltern flohen.
Diese Männer um die dreißig waren ländlicher Herkunft, sie überquerten die Grenze
nicht mit ihrer Familie, sie gingen mit der Truppe und bildeten Gruppen von Kame-
raden. Das waren Männer, die nicht nur den Bürgerkrieg erlebt hatten ; sie haben auch
die Gelegenheit gehabt, am republikanischen demokratischen Experiment (1931–
1936) teilzunehmen, einige haben sogar wählen können, obwohl anderen, die in sehr
kleinen Dörfern geboren worden waren, das Wahlrecht auf unterschiedlichen Wegen
vorenthalten wurde, gewiss ein Relikt des althergebrachten spanischen Patronatssys-
tems (caciquismo) : «Ich habe nicht gewählt, und als ich es hätte tun können, ließ der
Sekretär des Dorfes, der dafür zuständig war, mich nicht zur Wahl zu, denn er hatte
Angst, dass ich links wählen würde.»59 Während des Bürgerkrieges konnten die, die
etwas über zwanzig waren, an der sozialen Revolution teilnehmen und sich, wenn sie
wollten, an den Kämpfen und an den Volksinstitutionen beteiligen, und sie besetzten
auch verantwortliche Posten : als Gewerkschaftsvorsitzende oder als Stadträte. Nur in
dieser Gruppe ist eine gewisse Angst, über die Vergangenheit zu sprechen, festzustel-
58 AMM, MSDP, OH/ZP1/190, Interview mit Jacinto Cortés García, Interviewerin : Mercedes Vilanova,
Perpignan, 27. 8. 2002.
59 AMM, MSDP, OH/ZP1/176, Interview Simon Mill.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Volume 2
- Title
- Deportiert nach Mauthausen
- Volume
- 2
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Melanie Dejnega
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 716
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen