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190 | Anne-Marie Granet-Abisset
«Kurz vor der Dusche mussten wir uns ausziehen, und da sieht mich ein SS-Mann, äh, er sieht
meinen Vornamen und sagt sofort zu mir ‹Sergej›, das heißt, das ist mein Vorname, wenn
man ihn auf Russisch ausspricht. Und er hat mich … er hat gleich gemeint, ich sei ein Bol-
schewik, der sich in Frankreich versteckt hat, er hat mir irgendwas um den Hals geschlungen
und … ein Seil usw., er hat angefangen, es festzuziehen, und dann hat er plötzlich aufgehört,
hat gelacht, und das war dann alles. Und das hat mir gereicht, ich habe mir gesagt : Genug. Ich
gebe meinen Namen Serge auf, ich hatte ja einen zweiten Vornamen, Pierre, und aus diesem
Grund war ich im Lager ab diesem Augenblick nur [lachend] noch Pierre, und aus diesem
Grund trage ich in allen meinen Publikationen immer beide Vornamen. Das ist mein Lager-
Vorname. […] Also, wenn man einen russischen Vornamen hinzufügt, dann wird natürlich
die Verbindung geschaffen. Aber mit einem Vornamen wie Pierre, fĂĽr den es im Deutschen
alle denkbaren Verkleinerungsformen gibt, nun, damit falle ich wenigstens nicht auf.»23
Noch dazu wurde er bei den Aufnahmeformalitäten der Häftlinge als Jude registriert,
und nur dank der Hilfe eines Gefängniskameraden gelang es ihm, als politischer Häft-
ling ins Lager zu kommen :
«Am nächsten TagÂ
… am nächsten Tag kam es so, dass zufällig einer meinerÂ
…Â
– das war mein
Kollege … mein Kollege, der mit mir mit Handschellen zusammengekettet war, Schriftsteller
war, ein ziemlich bekannter Schriftsteller, der Paul Tillard hieĂź, und, sein Beruf war falsch auf
Deutsch übersetzt worden, er war … also, anstelle von Schriftsteller war er als Sekretär über-
setzt worden. Und soÂ
… ähÂ
… hat der Lagersekretär ihn am nächsten Morgen zu sich gerufen
und ihn gefragt, ob er ihm helfen könne, die französischen Namen einzutragen, denn plötz-
lich … Wir waren die ersten Franzosen, die ankamen, und als er unsere … äh, einige unserer
Unterlagen in die Hände bekommen hat, das ist jedenfalls sicher, bemerkte er, dass da, was
mich betraf, etwas abnormal war. Während einer unserer Kameraden ein Jude war, bei dem
der BegriffÂ
… die Bemerkung ‹Jude› gemeinsam mit dem Familienstand angeführt war, hat er
gesehen, dass auf einem Blatt, das mich betraf, mit Bleistift die Anmerkung ‹Jude› stand. Und,
ähÂ
… aber da er jemand sehr Mutiger war, und vor allem eine gewisse Eigeninitiative aufwies,
selbst unter diesen Bedingungen, hat er mich … hat er diese … hat er diese Bemerkung …
diese Bemerkung einfach ausradiert, die für mich äh … ja, den Tod bedeutet hätte.»24
Pierre Benielli ist einer der ältesten Zeugen aus dem Panel. 1909 geboren, war er als
Ingenieur in Grenoble tätig, der Stadt, in der er auch studiert hatte. Als Gewerkschafter
näherte er sich sehr früh der Bewegung Combat an.25 Seine ersten Aktionen bestanden
23 AMM, MSDP, OH/ZP1/316, Interview mit Pierre Serge Choumoff, Interviewerin : Maryline Tranchant,
Paris, 14. 11. 2002, Transkript, Z. 138–153.
24 AMM, MSDP, OH/ZP1/316, Interview Choumoff, Z. 192–206.
25 1942 aus dem Zusammenschluss mehrere kleinerer Widerstandsorganisationen hervorgegangen, war
Combat die effizienteste nichtkommunistische Widerstandsbewegung in der freien Zone. Vgl. François
Marcot et al. (Hg.) : Dictionnaire historique de la Résistance, Paris 2006, S. 117 ff.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Volume 2
- Title
- Deportiert nach Mauthausen
- Volume
- 2
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Melanie Dejnega
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 716
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen