Page - 195 - in Deportiert nach Mauthausen, Volume 2
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französischen Deportierten von Mauthausen : ungleiche Wege zum gleichen Ziel |
Auch wenn nicht oder nur in verschämter Weise davon die Rede ist, zeigt sich diese
Angst indirekt in der Präzision, mit der von Datum und Umständen der Verhaftung
berichtet wird, von den Überstellungen in die jeweiligen Gefängnisse oder vom Auf-
bruch nach Mauthausen, der zum Anlass für ausführlichere Erzählungen wird, wäh-
rend andere Aspekte des Zeugenberichts eher vage bleiben. Die emotionale Bewegung
ist meist spürbar, vor allem, wenn man sich an die Erzählung über die Zeit im Lager
macht, die schrecklichen Erinnerungen oder im Gegenteil die seltenen Momente der
Menschlichkeit. Die Distanzierung durch Lachen oder manchmal ein kalter Humor
kann die intensive Emotion nicht verbergen, die alle dabei empfinden, sich an diese
Zeit zu erinnern und sie durch die Erzählung wieder lebendig werden zu lassen.
Der Aufenthalt in Transitlagern und Gefängnissen
Das Lager von Compiègne, etwa fünfzig Kilometer nördlich von Paris gelegen, war
das Sammel- und Internierungslager, wo sich die meisten der nach Mauthausen De-
portierten aufgehalten hatten, unmittelbar bevor sie ins Konzentrationslager geschickt
wurden.33 Die Dauer ihres Aufenthalts ist ebenfalls extrem unterschiedlich, von eini-
gen Tagen bis zu einigen Wochen oder sogar einigen Monaten. FĂĽr einige von ihnen
hat die Zeit dort ihren Aufenthalt in Mauthausen entsprechend verkĂĽrzt und ihnen
damit wohl erlaubt, zu überleben und aus der Deportation zurückzukehren. Tatsäch-
lich waren die sehr harten Bedingungen in Compiègne immer noch weniger schlimm
als die in den Konzentrationslagern oder in den Kommandos, wie etwa Pierre Benielli
bemerkte :
«Compiègne war der Wehrmacht unterstellt. Natürlich, die Hygiene war etwas mangelhaft,
aber wenn wir damals gewusst hätten, was uns danach erwartete, hätten wir das als Paradies
empfunden. […] Sobald wir vom Lager zum Bahnhof gekommen und von den SS übernom-
men worden sind, haben wir sofort den Unterschied gemerkt.»34
Die Erzählungen, die diesen Aufenthalt betreffen, ähneln einander sehr stark. Zu An-
fang der Erzählung, die die Zeugen bieten, nehmen sie einen beträchtlichen Platz ein.
Die Beschreibung der Art der Verhaftung und der Ankunft an diesem ersten Ort der
Gefangenschaft ist wichtig, denn mit dieser Passage vollzog sich der Ăśbergang zu ei-
nem Status, mit dem man von der Widerstandskämpfer-Erzählung in den Modus der
33 Die wechselhafte Geschichte dieses Lagers ist mittlerweile gut erforscht ; siehe Beate Husser et al.: Front-
stalag 122 Compiègne-Royallieu. Un camp d’internement allemand dans l’Oise 1941–1944, Beauvais
2008 ; Christian Delage : Le Camp de Royallieu (1941–1944). De l’histoire au Mémorial, Compiègne 2008.
34 AMM, MSDP, OH/ZP1/323, Interview mit Pierre Benielli, Interviewerin : Maryline Tranchant, Paris, 26. 6.
2002.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Volume 2
- Title
- Deportiert nach Mauthausen
- Volume
- 2
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Melanie Dejnega
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 716
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen