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240 | Merethe Aagaard Jensen
Soweit bekannt ist, erhielten die norwegischen Natzweiler-Häftlinge aber nur wenige
der zugeschickten Rotkreuz-Pakete. Diese mussten sie zu viert oder fĂĽnft teilen. Ver-
mutlich wurden viele dieser Rotkreuz-Pakete von der SS oder den Funktionshäftlingen
des Lagers gestohlen. Für die norwegischen Natzweiler-Häftlinge zählte aber nicht nur
der Inhalt der Rotkreuz-Pakete, sondern auch das GefĂĽhl, man habe sie nicht verges-
sen.73 Als die SS wegen der heranrĂĽckenden Front im Herbst 1944 ĂĽber 70 norwegi-
sche Natzweiler-Häftlinge mit einem größeren Häftlingstransport von Natzweiler über
Dachau nach Mauthausen deportierte, brach der Kontakt wieder ab. Der Norweger
Trygve Wyller, der mit diesem Transport nach Mauthausen kam, beschreibt die verhee-
rende Bedeutung der Überstellung nach Mauthausen mit folgenden Worten : «Von da
an glitt ich vom Ernst des Todes in die Welt der Nacht und des Nebels.»74
Die NN-Häftlinge waren aber nicht die einzigen dänischen und norwegischen
Mauthausen-Häftlinge, die für die Behörden des Heimatslandes auf dem Weg ins Kon-
zentrationslager Mauthausen vom Erdboden verschwunden waren, worauf ich noch
näher eingehen werde.
Rund hundert norwegische Frauen kamen zuerst nach RavensbrĂĽck, von denen
33 NN-Häftlinge waren. Die Däninnen zählten nur circa 43 Personen und gehörten
dadurch gemeinsam mit den Norwegerinnen zu den kleineren nationalen Gruppen
im Lager. Die BemĂĽhungen, alle Norwegerinnen in einem Block zu sammeln, wie es
in Sachsenhausen der Fall war, misslang in Ravensbrück. Dies hängt damit zusammen,
dass die NN-Häftlinge in einem gesonderten Block zusammen mit den für die medi-
zinischen Experimente ausgesuchten Häftlingsfrauen, den sogenannten «Kaninchen»,
untergebracht waren. Obwohl die norwegischen NN-Häftlinge in Ravensbrück auch
vom Verbot, Briefe und Pakete zu empfangen, betroffen waren, bekamen sie doch le-
bensrettende Rotkreuz-Pakete mit Lebensmitteln und Kleidung, da die anderen Nor-
wegerinnen im Lager ihre Pakete mit den NN-Häftlingen teilten.75 Das Ergebnis war
eine relativ niedrige Sterblichkeit unter den norwegischen NN-Häftlingen in Ravens-
brĂĽck.76 Laut der norwegischen NN-Gefangenen Sigrid Heide war diesen weiblichen
Ravensbrück-Häftlingen aber sehr wohl bewusst, dass ihre Überlebenschancen gering
waren : «Alle im NN-Block wissen, dass ihr zukünftiges Schicksal ungewiss ist. Es
arbeitete mit Hilfsorganisationen zusammen. Durch den Kontakt zu den norwegischen Häftlingen in
Sachsenhausen erfuhren sie, dass norwegische Häftlinge von Sachsenhausen nach Natzweiler überführt
wurden und dass einige Häftlinge auch den umgekehrten Weg nahmen. Dies ermöglichte es den Häftlin-
gen, eine Liste ĂĽber die Norweger in Natzweiler zu erstellen und hinauszuschmuggeln.
73 Ottosen, Natt og tåke, S. 110 ; Toivonen, Jeg vil ikke dø !, S. 117.
74 Wyller, Fangeliv og fri tanke, S. 103.
75 Trouvé, Die «Nacht und Nebel»-Häftlinge 1942–1945, S. 61 f.; Kristian Ottosen : Kvinneleiren. Historien
om Ravensbrück-fangene [Das Frauenlager. Die Geschichte der Ravensbrück-Häftlinge], Oslo 1991,
S. 124, 237, 269 f.; Barfod, Helvede har mange navne, S. 80 f., 237 ; Sigrid Heide : Kanskje i morgen [Kann
morgen passieren], Oslo 21947 [1946], S. 201 f., 215.
76 Ottosen, Kvinneleiren, S. 336.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Volume 2
- Title
- Deportiert nach Mauthausen
- Volume
- 2
- Authors
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Editor
- Melanie Dejnega
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Size
- 16.8 x 23.7 cm
- Pages
- 716
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen